VIRTUOSITY KILLED THE CATS
Bernd Friedmann schon wieder auf diesen Seiten? Natürlich. Denn nicht nur solo produziert der in Köln und Neuseeland lebende Musiker eine bemerkenswert qualitative und aussenstehende Musik, welche die Ränder des aktuellen Musikgeschehens phasenweise zur provisorischen Mitte machen können, auch in einem phantastischem Duoprojekt, das er mit Uwe Schmidt – hier diesmal keine obligatorische Pseudonymliste, verwiesen sei nur auf meinen „lb“-Artikel in Jazzthetik 3 / 99 – betreibt, ist er tätig. Höchste Zeit für einen Flanger-Artikel in dieser Zeitschrift! Schon als das erste Album „templates“ im Herbst 99 auf ntone erschien, führte ich mit Bernd, der das Projekt leibhaftig repräsentierte, da der Wahlchilene Uwe Schmidt seltener in Europa verweilt, ein ausführliches Gespräch zu dieser Zusammenarbeit. Doch schien die Zeit damals noch nicht reif für einen Artikel. Ein Jahr später nun, das zweite, bereits im Frühjahr 1999 in Chile aufgenommene Full-Length-Album von Friedmann / Schmidt, „Midnight Sound“, ist gerade erschienen – mit einer Version von Miles‘ „So What“, übrigens – bekam ich nun kurzfristig die Gelegenheit, dieses mehr als beachtenswerte Projekt vorzustellen. Als Quelle dafür diente mir das gottseidank noch erhaltene alte Interview und ein kurz vor Deadline spontan von Bernd zugesagtes Interview auf einer Kölner Veranstaltung, wo sich neben den mittlerweile etablierten Acts Funkstörung und Shantel eine neue Generation Kölner Elektroniker wie Beige, Kandis oder Bob Humid livehaftig versammelte und vorstellte. Friedmann ist selbstverständlicher Teil dieser Szene wie auch Aussenseiter, aber es wäre vermessen, hier vorschnell Gemeinsamkeiten hochstilisieren zu wollen, ausser, dass sich, schaut und hört man genau hin, alle Protagonisten eine äusserst eigene und vor allem präzise Herangehensweise auf die Transformation von Musikstilen in weiterführende Bereiche erarbeitet haben, bei der die gefühlvoll-exakte und visionäre Nutzung der Elektronik keine Bekennerhaftigkeit, sondern einfach zeitgemässes Mittel zum Zweck ist: bei Beige ist das zb. Funk mit skelettierter und gebrochener Metrik, bei Kandis könnten es Popstile sein, bei Bob Humid futuristischer Drum&Bass, und bei Bernd Friedmann?
Dub, Reggae – und Jazz, zum Beispiel. Doch wollen wir den Fokus natürlich nicht auf Friedmann allein setzen: Uwe Schmidt, der wegen seiner Pop-Transformation „Senor Coconut“ musikfeuilettontechnisch nun wirklich auf jeder Wäscheleine hängt, hat nun ebenfalls seine speziellen Vorlieben, die hier aufzuzählen und aufzubröseln einfach nicht mehr nötig sind. Verlegen wir uns also eher auf einige wenige biographische und abstrakte Kriterien, um zu erfassen, worum es bei diesem Ausnahmeprojekt überhaupt geht. Das Hauptkriterium dieser Zusammenarbeit ist eine logisch-natürliche Form der Korrespondenz von Analogien: beide waren Schlagzeuger, beide betreiben eigene Label (Nonplace und Rather Interesting) und beide haben ihre Erfahrungen in der Produktion von elektronischer Musik gemacht und mittlerweile längst hinter sich gelassen. Das Ergebnis dieser Transformation auf einen gemeinsamen Nenner gebracht ist Flanger. Kennengelernt haben sich Schmidt und Friedmann 1996 in Köln. Man verabredet sich ein Jahr später zu einer kleinen gemeinsamen Tour durch Australien, um nicht zuletzt in 10 Tagen das knapp 40minütige Debut „templates“ aufzunehmen. Bei beiden fand sich dieselbe Herangehensweise an Musik, so Friedman, analoge Sehweisen, weg von reduntanten Strukturen, hin zu einer Musikform, die kontinuierliche Veränderung in sich trägt, und gleichzeitig sie selbst bleibt. Als hilfreiche Metapher gibt Friedmann das Meeresrauschen an: eine natürliche Klangform, die sich stetig verändert, aber ähnlich bleibt, die sich permanent bewegt, aber immer anders klingt, entgegen zb. Sinus-, Pfeif- oder Brummtönen, oder auch Cut-Up-Strukturen. Dass diese natürliche Struktur kein erholsam-esoterisches Kitschbild ist – Friedmanns frühe Ambient-Dekonstruktion „Erholungsgebiete“ spricht ihn hiervon sowieso frei -, sondern eine ernstzunehmende Arbeitsstruktur, wird deutlich, wenn Schmidt sich auch seit längere Zeit auf ein Modell organischer und morphender Musik bezieht, in der permanent Mutationen und Alternationen geschehen. Und für dass er vitale Inspirationen nicht zuletzt in der Präzision und Dynamik lateinamerikanischer Folk- und Jazzmusik wiederfand, was sich dann wiederrum mit Friedmanns Vorliebe für klangliche Raumarchitektur, wie bei jamaikanischem Dub und Reggae zu hören, verband. Die Prämissen stimmten also, und von der späteren Zusammenarbeit hatte Friedmann seinerseits bereits eine Ahnung, „wie das laufen könnte. Und das hat sich dann bestätigt.“
Schmidt / Friedmann fanden eine Verpackung eines Flanger-Effektes aus den 70er Jahren, so hatten sie sowohl Namen wie auch Logo. Die Vorgaben waren bald klar: vier Minuten Musik am Tag schaffen, keinerlei Wiederholungen und Beschränkung auf ein Set-Up von Bass, Schlagzeug und Keyboard. „Flanger“ ist nicht zuletzt ein funktionierendes Verwirrspiel. Ob live oder programmiert soll hier gar nicht mehr die Frage sein. Denn auch anno 2001 werden noch immer Klischees weiterkolportiert, elektronische Musik sei einfach, baue auf Wiederholungen oder naiven, aber cleveren Loops auf und ohnehin würden da ja sowieso nur ein paar Knöpfe gedrückt. „Ehrliche, handgemachte Musik“ aber sei oft noch Synonym für „the real thing“, und echte Jazzer, ja , die konnten wenigstens noch spielen. Flanger führt diesen Purismus ad absurdum. Es geht darum, dass die Hörer nicht mehr den (möglichen) Entstehungsprozess einer Musik beurteilen sollen, sondern das Ergebnis – und ob dieses gut ist oder schlecht. Gut, natürlich konnten und können Jazzer spielen. Miles zb., so Bernd, hat zu „So what“ nur ein grobes Konzept aufgeschrieben, dann wurde alles spontan eingejammt, und der erste Take ist dann tatsächlich das Stück. Ziemlich unglaublich, finden wir beide. Flanger bauen soetwas nach. Es geht um Überschreitungen und Permutationen der Prinzipien „real“ und „fake“. „Wirklichkeitskonstruktionen testen“ nennen Schmidt / Friedmann das. Flanger klingt wie eine Band, ist aber keine. Und, ok, lassen wir die Katze endgültig aus dem Sack: obwohl sich auf dem Album eine virtuose Exotika-Fusion-Combo auszutoben scheint, ist hier ALLES komplett einprogrammiert. Gesampled wurden dafür selbstgespielte Einzelinstrumente und einzelne Sounds, ganze Bänke wurden da angelegt. Ein Flanger-Schlagzeug enthält so 24 verschiedene Snare-Samples, daraus ergibt sich der Klangreichtum, die Dynamik und das Ton- und Klangfarbenspektrum, das man aus den 70er Jahre Sounds kennt und liebt: Jazz, Easy Listening, Exotika, Reggae, Dub. Digitalmaschinen sollen in dieser künstlichen Band dieselbe Bedeutung bekommen wie die Produktion in den 70er Jahren, gesamplete Sounds bekommen hier dieselbe Wertigkeit wie akustische Sounds. Flanger stört die oft noch anzutreffende Geringschätzung oder gar Diskreditierung der elektronisch-digitalen Produktion. Virtuosität wird, nicht nur im Jazzbereich, eher im Instrumentellen honoriert als in der Studioarbeit. Dieses Vorurteil will Flanger brechen, vielleicht ist es auch nur eine Trotzreaktion auf Ignoranz, so Bernd: wenn man sich mit einem Ideal überidentifiziert, kann man die Leute so vor den Kopf stossen. Begriffe wie Meisterschaft, Authentizität und Künstlertum spuken noch stetig durch die Musikästhetik, die eigentliche Leistung aber, die honoriert werden müsse, sei die Idee. Nach wie vor gibt es eine Technikfeindlichkeit in der Jazzszene, konstatieren Flanger, aber die Akzeptanz wächst. Es kommen enorm viele Anfragen auf Flanger als Live-Band, aus Montreaux, oder von Carl Craigs EMF-Festival in Detroit. Aber es gibt diese Band nicht – noch nicht. Bernd arbeitet derzeit mit Jaki Liebezeit und wird mit diesem auch eine Platte auf Nonplace veröffentlichen, Uwe ist mit seinen dänischen Musiker-Virtuosen auf Non-Stop-Tournee, um Kraftwerk-Songs Samba einzuhauchen – und wenn das nötige Geld für eine internationale Drei-Mann-Tournee da ist, lässt sich die „Fake“-Band Flanger auch auf der Bühne erleben – so ist es zumindest geplant. Und bei der dritten Flanger-Platte sollen Live-Musiker zur Programmierung dazukommen. Auf dass noch mehr Verwirrung und noch bessere Musik entstehe.
(Jazzthetik)