Techno Animal

ON. AND ON.

Es kracht. Das ist die häufigste Zuschreibung, die auf Kevin Martin und Justin Broadrick gemacht wird. Früher spielte Kevin in einer Band namens God, und Justin in einer Band namens Godflesh, die zusammen tourten. Sie bemerkten schnell, dass sie viel gemeinsam hatten, zB. musikalische Vorlieben, aber auch den sozialen Hintergrund: beide kamen aus ziemlich armen Verhältnissen, beide Elternpaare trennten sich, und beide kamen mit der Hilfe von Punk durch ihre Kindheit. Kevin: „Es war sehr offensichtlich und klar, dass wir von Musik besessen waren, dass sie geradezu durch unsere Venen lief. Wir redeten viel über Aufnahmeprozesse. God war eine Mischung aus Freejazz- und Improv-Rockband, ein Ensemble von 12 Leuten. Das macht es definitiv zu einer Live-Sache, du kannst nicht wirklich im Studio experimentieren. Und Justin spielte in einer Metal-Band, und die haben offensichtlich bestimmte Formeln, mit denen sie agieren müssen.“ Eine Zusammenarbeit wurde immer deutlicher. In der folgenden Zeit wurden sie auf der einen Seite sehr inspiriert von sehr viel zeitgenössischer klassischer Musik wie Penderecki, Lutoslavski, Nono, andererseits von Soundtrack-Komponisten wie Ennio Morricone, John Carpenter oder Jerry Goldsmith – und Dub, Tonnen von Dub. „Eine Menge der Musik, die wir am meisten mögen, wurde anscheinend in den Spät-60er und Früh-70er Jahren gemacht, und das hat viel mit der Musiktechnik zu tun, die es damals gab – Elektroakustik und Synthesizer, zum Beispiel. Und, wie gesagt, Dub – enorme Menge an Dub. Hör dir King Tubby, Lee Perry oder die Scientists an – es ist unglaublich, wo kommt das her, und was ist das? Als wir aufwuchsen, und Justin mit 14 Napalm Death gründete, hörte ich Discharge oder Crass – aber Dub zu hören war unvermeidlich, es war kein anderes Ding.“ Justin kommt aus Birmingham, einer sehr multikulturellen Stadt. Kevin lebte an der Südküste in einem Provinznest, aber er sog den Reggae, den Sir John Peel regelmässig durch den Äther spielte, aus dem Radio. „In den 70ern und Früh80ern gab es diese Separierung bekanntermassen nicht, der Vibe von Punk und Reggae, Public Image und Misty in Rots, lag auf einer Linie. Witzig, dass heutzutage in Interviews die meisten Journalisten von Genres besessen sind, wo wir den Unterschied gar nicht mehr sehen – das Meiste ist eine Hardcore-Fusion aus Müll, höchstens 5 % der Musik von Allem geht keine Kompromisse ein, ist intensiv, tief, energiereich, leidenschaftlich – so ist die Musik, die wir mögen, und deshalb haben wir Techno Animal gegründet.“ Der Name war eine Abkürzung und bezeichnet den Menschen als technologisches Tier – mit einer Genrebezeichnung hat das zero zu tun, aber oft wurden Kevin und Justin als Hardcoreravebastards missverstanden, doch im Gründungsjahr 1990 waren sich die beiden nur vage über Techno im klaren. Als das Duo im Heimstudio anfing, ging es logischerweise Lo-Fi zu: ein paar Effektpedale und ein CD-Player, auf dem fleissig geloopt wurde. Das Hohelied des 8-Spur-Rekorders singen Kevin und Justin rückblickend mit voller Begeisterung: „So amateurhaft, aber es war erstaunlich! Zu diesem Zeitpunkt sagten viele Leute zu Godflesh, dass es nurmehr Krach und Lärm sei. Sie hörten weder die Komposition, noch die Elemente der Stille darin.“ Techno Animal setzte sich ab von Gruppenimprovisationen und transformierte den Sozialisations-Punk-Vibe und ein bestimmtes Interesse und Verständnis für Strukturen der Neuen Musik ineinander. Justin: „Die Samplingtechnologie zu so einem frühen Zeitpunkt – Anfang der 90er Jahre – offensiv zu umarmen, war damals eine Herausforderung. Von heute gesehen wirkt es lächerlich angesichts der technischen Weiterentwicklungen und der Kompositionsmöglichkeiten.“ Kevin: „Bei vielen Stücken der sogenannten Neuen Musik erkannten wir damals zum erstenmal die Möglichkeit einer Art Anti-Struktur, durch gewisse mikrotonale Stimmungen, Wechsel, Drone-artige Texturen oder auch gewisse rythmische Elemente sehr weit über den üblichen Rahmen und das Verständnis von Musik hinauszukommen. Das war unglaublich für uns, und wir dachten: wenn die Typen das können…OK, wir haben nicht an der Juillard-Universität studiert und können auch nicht in den feinsten elektroakustischen Studios in Frankreich aufnehmen, aber unser Instinkt sagte uns: warum sollten wir das nicht auch können?“ Justin bestätigt diesen autodidaktischen und sehr selbstgemachten Weg zur Klangforschung euphorisch: „Andere lernen elektroakustische Musik in einem 10-Jahres Studium, mit Theorie und konstantem Arbeiten in diesem Feld – sie mögen völlig glücklich damit sein, aber sind möglicherweise gefangen in einem selbstgemachten Feld. Wenn ich auf der Gitarre einen Akkord spiele, kommen sie an und sagen: Oh, das ist eine verminderter E 7 oder was auch immer, und ich sage: ich weiss nicht, was es ist, aber es klingt gut, es fühlt sich grossartig an, und ich nehme es.“ Kevin lacht und bringt es abermals auf den Punkt: „Wir arbeiten intuitiv. Es sind reine Instinkte, auch in der Technologie – wir gehen wirklich tief hinein in die Maschinen, aber letzten Endes ist es immer intuitiv.“ Erste Credits hierzulande konnten Techno Animal mit Beiträgen auf der Electric Ladyland-Compilation auf Mille Plateaux verbuchen. „Es war die Zeit, als die Leute erkannten, dass Mo Wax und das ganze Konzept von TripHop nichts anderes als Kaffehausmusik war. Trotzdem konnte man immer noch etwas mit Downbeats machen, mit HipHop und mit Psychedelik.“ Im Winter 1997 zogen sie in diesem Rahmen mit u.a. Alec Empire und DJ Spooky auf eine beeindruckende Tour. Aus dieser Zeit rührt auch ihre Zusammenarbeit mit Alec Empire, die nur logisch erscheint, zu gross sind die gemeinsamen Vorgaben. „The Sidewinder“ und vor allem „The Curse Of The Golden Vampire“ – eine der fantastischsten und am meisten unterschätzten Freeform-Improv-Elektro-Platten der Jetztzeit, zeugen davon (am zweiten Teil, der auf Ipecac erscheinen soll, wird derzeit gearbeitet) – obschon Kevin und Justin sich ohne Probleme den kreativen Löwenanteil bei der Produktion zugestehen. Das aktuelle Techno Animal-Album sollte ursprünglich auf Digital Hardcore Records erscheinen – doch sowohl dort, als auch bei Grand Royal, das auch im Gespräch war, gab es letztlich Absagen für ein Album. Einige weitere Rückschläge 1999 sorgten dafür, dass das Duo in einen Engpass geriet, aber man gab keinesfalls auf, sondern remixte fleissig weiter, bis man im Spätsommer 2000 ein Angebot von Matador bekam.

Das Equipment von Techno Animal hat sich entwickelt, und sie arbeiten so genau wie nur möglich, aber es geht immer noch, wie Justin sagt, um „magische Entdeckungen“. Aber, so Kevin: „Vielleicht betreten wir jetzt langsam auch das Königreich des Nerdtums…also Vorsicht. Vielleicht wird es auch wissenschaftlicher.“ „Es ist eine Liebe-Hass-Beziehung, wir schliessen uns immer länger mit unseren Maschinen ein, unsere Leben sind verändert, meine Freundin hat sich definitiv beschwert“, ergänzt er. „Unsere Freundinnen sind Mac-Witwen“, bringt Justin es unter allgemeinem Gelächter auf den Punkt. „In der letzten Zeit ging es bei uns immer stärker um Texturen, wo es früher vornehmlich um Dynamik und die Limitierung des Equipments ging. Heute sind wir regelrecht besessen von der Mikroskopierung der Texturen, der Editierung einer Bassline, die wir zB. rauher, aber eben nicht verzerrter machen wollen.“ Frequenzabgleichungen, Röhrenemulationen, Klangkomprimierungen – das Klangvokabular von Techno Animal hat sich gehörig erweitert. Trotzdem sehen sie sich nicht in einer Liga mit mitunter sehr diffizil arbeitenden Produzenten wie zB. Autechre: den Unterschied zu ihnen definiert Justin so, dass Sean und Rob neue Maschinen regelrecht konsumieren und dann sprichwörtlich alles damit tun, während Techno Animal aus dem vertrautem Radius immer tiefer schöpfen. Ich berichte Kevin und Justin von dem Autechre-Live-Set in Köln, dass von einer kompakten Spannung und intensiven Kraft nur so strotze, die mancher den Abstrakt-Pionieren nie zugetraut hatte – absolutely kicking. Nicht umsonst trug Sean Booth an diesem Abend plakativ ein Detroit-Shirt. „Genau das habe ich auch von Team Daobi auf der Sonar gehört, die sie supporten: dass Autechre fed up mit all den Nerds wären, die zu ihren Shows kommen und eher Metal machen wollten, als abstrakte Kunstmusik“, entgegnet Justin lachend. Und wieder schliesst sich ein logischer Kreis. Kevin und Justin respektieren die Detail-Obsessionen von Autechre, aber ihnen geht es um Emotionen – tatsächlich um „Gefühle in den Maschinen“. Sie lieben Autechre, aber diese klingen einfach kälter, und „es ist kein Bass in ihren Tracks. Und der macht süchtig wie Chili, lacht Kevin. „Der erste Gedanke bei einem Autechre-Album ist: fantastische Musik – aber: wo ist der Bass?“ Und wieder lässt er ein lautes Lachen in den Raum.

Die Sucht nach dem Bass hat Techno Animal zwangsläufig mit HipHop-Produzenten zusammengebracht: das neue Album „The Brotherhood Of The Bomb“ wurde mit der Unterstützung von Independent-Rappern und -Produzenten wie dälek, El-P, Toastie Taylor, Priest (Anti Pop Consortium), Sonic Sum und Vastaire Kramer von Cannibal Ox eingespielt. Natürlich flogen da die files über den Ozean, und innerhalb von acht Monaten puzzelte sich so ein rohgeschliffenes Beatkompendium zusammen, dass durch die verschiedenen MCs eine prägnante Schärfe bekam. Kevin: „Ich hatte schon lange das Vertrauen in gute Texter verloren, aber diese Leute brachten es zurück – gleich, ob du am Alltag, an Science Fiction oder am kreativen Umgang mit Worten interessiert bist – sie sind Genies.“ Aufsehenerregend natürlich die Zusammenarbeit mit der Legende Divine Styler, doch das Ergebnis kam letztlich nicht auf die Platte: der Klang war zu schwach, zu flach und nicht weit genug – man übte sich im Verzicht, aber eine Fortsetzung der Kollaboration ist wahrscheinlich. „Er suchte sich einen der krachigsten Tracks überhaupt aus, und rappte u.a. eine Version von Rakim’s „Follow the leader“ darüber – aussenstehend, aber beim Mixdown merkten wir die klanglichen Schwächen. Die Leute hätten gesagt: „Hey, das hätte wirklich gross werden KÖNNEN!“ – da haben wir es lieber gleich gelassen.“ Techno Animal zeichnet sich durch die Klasse aus, musikalische Kontexte intuitiv zu verstehen und in einen eigenen Zusammenhang zu übersetzen, der auf den ersten Blick vornehmlich gar nichts mit ihrer Klangwelt zu tun hat. „Die meiste Musik, die ich liebe, hat mich zunächst überfordert“, so Kevin, „wie zB. die Stimme von Billie Holiday.“ Und Stina Nordenstam? Unser Gespräch entgleitet ein wenig in Schwärmerei über die vokale Einzigartigkeit der Schwedin. Was hat diese einzigartige Sängerin, die mit einem Acapella-Album einen Raum voller Lärm zum Schweigen und Zuhören bringen könnte, mit den Beatrabauken Kevin und Justin, die über ihre Musik die wildesten MCs wie die Reiter der Apokalypse reiten lassen, zu tun? „Ihre Stimme ist unglaublich. Wir konnten nicht glauben, dass sie wollte, dass wir einen Remix für sie machen. Als wir danach telefonierten, fragte sie, ob wir ein ganzes Album für sie produzieren wollten. Mir blieb die Sprache weg. Leider ist das nicht passiert. Wir haben mit Dir sehr viel über Extreme geredet, denn wir werden natürlicherweise zu ihnen gezogen. Manchmal fühlt sich das kindisch an, und ich sage: Ach komm, hör auf…“ Justin kommt aus dem Lachen nicht mehr heraus: „Und unser Mix war so destruktiv…! Ein Journalist, der uns kannte, schlug uns bei ihr vor.“ Stina Nordenstam ist wahrlich ein Extrem, sie tritt nicht live auf, und sie gibt keine Interviews. Niemand soll sich zwischen ihre Kunst und den Betrachter und Zuhörer stellen. Diese so fragil und gleichsam stark erscheinende Frau hat mehr mit Techno Animal zu tun, als man vordergründig nicht sieht. Nicht zuletzt spielt auf ihrem Album „And She Closed Her Eyes“ John Hassell mit, und der wiederrum arbeitete mit wem wohl? „Die Art, wie er auf unserem Album Re-Entry seine Parts und Texturen annahm, war beeindruckend. Wir erklärten es ihm vage, und er improvisierte es genau hin. In weissen Cowboystiefeln und mit Hut…“ – der Rest ist nicht mehr zu verstehen. Selten in einem Interview soviel gemeinsam gelacht. Und es muss reichen als Hinweispalette auf eines der erstaunlichsten Produzentenduos dieser Zeit. Ruffnecks mit Tiefe. „Für mich ist alles, was mit Musik zu tun hat, eine Übersetzung von Träumen. Es ist Magie für mich“, sagt Kevin Martin abschliessend, und wer hier Kitsch läuten hört, fängt am besten nochmal von vorne an. Kurz darauf flog das Techno Animal nach London, um dort zusammen mit Fantomas zu spielen. On. And on.

Marcus Maida

Diskografie

Ghosts LP (Pathological / 1991)

Re-Entry LP / CD (Virgin / 1995)

Babylon Seeker EP (Blue Angel / 1996)

Unmanned 12″ (Position Chrome / 1996)

Phobic 12″ (Position Chrome / 1996)

Demonoid 12″ (City Slang / 1997)

Techno Animal Vs. Reality LP / CD (City Slang / 1997) Remixe

Cyclops 12″ (Position Chrome / 1997)

The Curse Of The Golden Vampire LP / CD (Digital Hardcore / 1998)

Radio Hades CD (Position Chrome / 1998)

Brotherhood 12″ (Force Inc / 1999)

Symbiotics LP / CD (Mille Plateaux) Split-Album mit Porter Ricks

Techno Animal Vs. dälek – 12″ (Matador / 2000)

Dead Man’s Curse 12″ (Matador / 2001)

The Brotherhood Of The Bomb LP / CD (Matador / 2001)

Kevin Martin hat sich zudem noch als Compiler der Macro-Dub-Infection – Serie profiliert.

(Jazzthetik)

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