Bowery Electric

WIE SONST AUCH UND ANDERS

Die Bowery ist der Landstrich in Manhattan, der unterhalb des East Village beginnt. Die holländische Bedeutung heisst ganz simpel: Ländliche Gegend. Ursprünglich war es eine Wildnis, dann entwickelte sich dort der urbane Theater District, bis in den 70Jahren viele Missions dort ansässig wurden, was viele Hobos und auch Alkoholiker anzog. Die Gegend geriet in einen sehr üblen Ruf. Heute, so Lawrence Chandler, der mit Martha Schwendener das New Yorker Headz-Duo „Bowery Electric“ bildet, hat es sich komplett verändert: überall Lofts wie sonst auch. Die beiden hatten eine freundlichere und entspanntere musikalische Alternative im Sinn, als es der typische New Yorker „Illbient“-Sound mit seinen paranoid-dekonstruktivistischen Collagen erlaubt. Lawrence und Martha lernten sich bei der Arbeit kennen: beide waren in der Editorial-Staff von Andy Warhols Interview tätig. Allein schon das könnte reichen, um glamorösen Vermutungen Futter zu geben, doch Lawrence winkt lässig ab: „Der Job war recht langweilig, all diese Celebrity-Dinner. Martha und ich gingen aus und pennten unter den Bürotischen, bis unser Chef kam“, erinnert er sich lachend. Seit 10 Jahren ist das Paar schon zusammen, beide DJten bereits auf dem College, Martha trieb sich in der Improvszene von NY herum, während Lawrence einige Zeit die Klanginstallationen und Drones des Komponisten La Monte Young in dessen legendärem Dreamhouse betreute. Die ersten Bowery Electric Platten gerieten zu Ambient-Exkursionen, die von einer Suche zwischen Experimentalität und Popstruktur zeugen – nicht umsonst sind Can und Kraftwerk Bezugspunkte des Duos. Trotzdem konnten sie noch nicht den Klang umsetzen, der ihnen vorschwebte. Auf der neuen Platte „Lushlife“ ist es ihnen nun gelungen, die experimentelle Schwere zu lockern und einen Popvibe hineinzulassen, der mit schillernder Eleganz und Reife zwischen Modellen wie Portishead und My Bloody Valentine, taktgenauen schweren HipHop-Beats und 70er Soulreferenzen changiert. „Für mich ist es inzwischen eine viel grössere Herausforderung, einen Popsong zu schreiben“, so Lawrence. Texte und Gesang kommen dabei von Martha, die auch schreibt und zur Zeit ein Literaturstipendium der University Of Texas innehat, die Programmierung besorgt Lawrence, der sich die Skillz dazu in den Green Street Studios aneignete, wo schon Run DMC und Public Enemy zuhause waren. Trotzdem besteht er darauf, dass es nicht die übliche Trennung „Mann=Technikgeek und Frau=Seele des Projekts“ sei: die Tracks entstehen zu gleichen Teilen, vor allem da Martha ein untrügliches Gespür für Arrangements habe. Eingespielt wurde „Lushlife“ komplett in Brooklyn, „in einem sehr dunklen Winter“. Aber sie klingt nicht schwermütig, eher glänzend-dunkel: etwas leuchtet aus dem Schwarz. Lawrence findet diese Deutung hervorragend. Doch zzt. leben und arbeiten sie in Texas, und da ist der Himmel blau und alle rennen in kurzen Hosen rum. Vielleicht schaffen sie demnächst wirklich ein paar taghelle Hooks.

(Rolling Stone)

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