Neulich bin ich hängen geblieben. Und zwar bei der GACMF. Nein, ich hab mein Gebiss schon eingesetzt, auch beim Schreiben, keine Sorge. Gemeint ist die Jahres-Award-Verleihung der ‚German-American-Country-Music-Foundation’, die dieses Jahr in Erfurt präsentiert wurde. Was lässt sich dazu sagen? Erfurt ist nicht Nashville. Aber man gibt sich schon Mühe. Das hört sich dann so an: Linda Feller, die ‚Rose der Countrymusik’ (steht auf den Pappschildern der cowboybehüteten Fans) und Sängerin des Jahres sang: „Ich führ Buch über jede Träne/Ich wird sie sauber aufaddieren/und ich werde dir, wenn alles vorbei ist/die Rechnung präsentieren“. Begeisterung. Das ist nun mal wirklich die fleischgewordene protestantische Ethik des Kapitalismus in der Maske der Country-Kulturindustrie. Die nationalen Gefühle hingegen bediente der unvergleichliche Günther Gabriel, der mit schwarz-rot-gelber Gitarre seinen Country-Kracher „Laßt die Fahnen auf dem Dach“ performte, seinen Comebacksong zur WM 2006. Der „rebellische deutsche Patriot“, so der Moderator, sei „wie ein Coyote auf einer Pudelparty. Ehrlichkeit ist sein Kompass.“ Das kann man so sagen. Dieser Mensch ist ehrlich. Und deshalb ist er gefährlich. Gabriel über sein Vorbild und ‚Freund’ Johnny Cash: „Ich saß auf seinem Sofa. Ich war in seiner Wohnung. Ich saß auf seinem Lokusdeckel.“ Gute Idee. Wo gesungen wird, da setz dich nieder. Angesichts der klatschenden deutschen Cowboygirlmasse stellte sich die Frage, woher eigentlich diese Sehnsucht nach Country&Western, nach Ehrlichkeit, Staubigkeit und Aufrichtigkeit kommt? Erhellende Impulse hierzu kommen derzeit aus einer großartigen Kunst- und Kulturgeschichtsausstellung, die aktuell in der Frankfurter Schirn Kunsthalle stattfindet. Die von Pamela Kort kuratierte Schau „I like America“ begibt sich auf eine hochinteressante historische Spurensuche zu den Wurzeln der Amerikabegeisterung in Europa – hier vor allem in Deutschland -, sowie zu den romantisch geprägten ästhetischen (Trug)Bildern, heute sagen wir Images, die sich mehr und mehr in das öffentliche Bewusstsein schraubten und implantierten. „Zwischen 1830 und 1840 wanderten mehr als 150 000 Deutsche in die Vereinigten Staaten aus. 1848 taten mehr als 100 000 diesen Schritt in einem einzigen Jahr“, schreibt Schirn-Direktor Max Hollein im Katalogvorwort. Amerika war im von absolutistischer Herrschaft, frühindustriekapitalistischer Ausbeutung und den damit zusammenhängenden Hungersnöten geplagten Europa ein sehnsuchtvoller Fixpunkt und ein regelrechtes Traumland für Viele. Das Image, das die USA als Land haben, in dem es alle hart arbeitenden und innovationswilligen PionierInnen schaffen können, wenn sie nur wollen, besteht heute noch. Dass dies nicht nur geschickte Strategie oder gar Propaganda der USA, sondern vielmehr gewollte Wunsch-Projektion und Selbst-Täuschung der Enttäuschten ist, auch das beweist das hochinteressante Szenario, dass in dieser Ausstellung aufgefächert wird. ‚Amerika’ erweist sich somit als eine frühe soziale und mediale Fiktion, mit der regelrecht gearbeitet wurde und wird – auch medientheoretisch ist hier einiges an Material herauszuholen. Die Geschichten fangen an mit der spätromantischen Sehnsucht nach dem ‚edlen Wilden’ sowie nach Unberührtheit, Ursprünglichkeit und zivilisierter Wildheit. Wir kennen sie, na klar, von James Fenimore Cooper oder eben Karl May. Auch ihm ist ein Kapitel gewidmet: „Die Erfindung des definitiven Indianers“, los geht es aber zunächst mit den Indianerportraits von George Catlin. Dieser frühe ‚Indianermaler’ und Imageproduzent versuchte seine ‚Indian Gallery’ an den amerikanischen Staat zu verscherbeln, der hatte aber kein Interesse, war er doch aktuell selbst noch an der Dezimierung der Ureinwohner beschäftigt – da hatte man für Kunst und Museen noch wenig Zeit. Zudem zeigte Catlin in den Gemälden deutlich seine Sympathie an den Indianern und seine Kritik an der staatlichen Indianerpolitik. Also packte Catlin seine Mappen und ging nach Europa, wo ihn der englische Adel zunächst mit großem Interesse, später mit Begeisterung empfing. Die erfolgreiche Rezeption von Catlins Kunst, deren Präsentationen von regelrechten frühen Indianerperformances begleitet waren, nahm in diesem Sinne Buffalo Bills berühmt-berüchtigte Wild-West-Show vorweg. Diese Bilder sowie Grafiken europäischer Künstler hält die Ausstellung zur Genüge bereit. Zur Aufarbeitung des Gesamtkomplexes bietet der Katalog den Artikel von Pamela Kort „Die unbewältigte Vergangenheit des Mordes an den Indianern“. Wir finden noch mehr äußerst fundierte und wissenschaftlich-kritisch aufgearbeitete Bausteine für einen erweiterten Diskurs über diese paradigmatische Struktur aus Mythos und Historie: Das Bild des Amerikanischen Westens in der deutschen Massenpresse, der wilde Westen in deutschen Zeitschriften, die Wild-West-Shows in Deutschland und Österreich, Cowboy und Indianer in Zirkus und Kino und weitere Hintergrundanalysen zur damaligen Mythenproduktion. Eine weitere sehr gelungene sozialkulturwissenschaftliche Analyse stammt von Barbara McCloskey und nimmt sich die Inszenierung von Rasse und Nation mittels nordamerikanischen Indianern durch deutsche Künstler im 19. und frühen 20. Jahrhundert vor. Die Spurensuche geht bis zu Beuys’ legendärer Performance ‚I like America and America likes me’, die ausführlich in diesem Kontext dokumentiert und analysiert wird. Fazit: eine hochsehenswerte Ausstellung, und der großstadttelefonbuchdicke Katalog ist aktuell das Fundierteste, Spannendste, ja schlicht das Beste, was zu diesem Kontext aktuell zu finden ist. Wort.
Wer es noch bis zum 7. Januar in die Schirn schaffen sollte, kann zusätzlich noch eine Ausstellung zeitgenössicher Kunst mit einem viel versprechendem Konzept begutachten. Sie nennt sich „Anonym. In the Future no one will be famous“ und paraphrasiert das bekannte Warhol-Zitat von der 15-Minuten-Terrine zukünftiger Berühmtheit auf den aktuellen Kunstmarkt. Dieser läuft ja aktuell komplett heiß und dreht mittels eines durchgeknallten Kaufpublikums, dass sich auf den Kunstmessen von Miami bis Basel verhält wie das abgehängte Prekariat bei Lidl kurz vor Freigabe der Non-Food-Schnäppchen, völlig durch bzw. ungehemmt an der Schraube der nach oben offenen Preisskala als Apotheose eines hyperkapitalistisch und neobourgeoisen bzw. -feudalen Kunst-Kauf-Besitzwahns. Die Frankfurter Ausstellung möchte reflektieren, wie sehr sich Künstler als Marken und der Kunstmarkt als Einfluss auf den Diskurs – ich sage: als der Diskurs selbst – auf Ästhetik und die ästhetische Wahrnehmung auswirken. Folgerichtig wird nur anonyme, also namenlose Kunst präsentiert, wogegen im Katalog – ziemlich widersprüchlich – namentlich genannte AutorInnen, u.a. der stets unangenehme Schwätzer Eckhard Nickel (hier blinkt sofort eine Warnlampe), über anonyme Kunst reflektieren … na sagen wir, mitunter eher parlieren. Zum Trost: zusätzlich erscheinen 500 Blankokataloge mit 160 Leerseiten, also man kann nicht sagen, dass hier kein Humor existiert. Unterm Strich bleibt insgesamt bei dieser Ausstellung der Eindruck zurück, dass das Konzept mitunter interessanter als die Ausstellung selbst ist, das Konzept als solches aber grundsätzlich sehr interessant ist, zumindest im Rahmen einer institutionalisierten Ausstellung, in dem es präsentiert wird. Ansonsten gibt es angesichts der stetig voranschreitenden Auflösung des traditionellen Kunstbegriffes in realiter bereits derart viele Formen anonymer Kunst, dass manchmal einfach ein Blick aus dem Fenster reicht. Aber hinsehen muss man schon selber.
I LIKE AMERICA. Fiktionen des Wilden Westens. Schirn Kunsthalle Frankfurt, noch bis zum 7. Januar 2007.
Katalog Hrg. von Pamela Kort und Max Hollein, Prestel Verlag München, 400 S., zahlreiche Fotos und Abbildungen.
ANONYM. In the future no one will be famous. Schirn Kunsthalle Frankfurt, noch bis zum 14. Januar 2007.
Katalog Hrg. von anonym und Max Hollein, mit Texten von Dominic Eichler, Stephan Heidenreich, April Elizabeth Lamm, Eckhart Nickel und Hans Ulrich Obrist. Snoeck Verlagsgesellschaft Köln, 160. S, 32 s/w-Abbildungen.