TAIN’T WHAT YOU DO (IT’S THE WAY THAT YOU DO IT)
Interview: Marcus Maida / Marco Böhlandt
Text: Marcus Maida
Deutschsprachiger HipHop und Jazz haben sich, einige wenige veritable Projekte mal abgesehen, in den letzten Jahren nicht wirklich etwas zu sagen gehabt. Der juvenile Battle-Kontext des Genres setzt zwar abseits der Diss-Orgien des MCs letztendlich auch gerne auf das musikhistorische knowledge des DJs, aber im musikalischen Material selbst sind die Inbezugnahmen auf Jazz eher weniger zu hören. Das Ulmer Duo Kinderzimmer Productions setzt nun auf seinem neuesten Album „Wir sind da wo oben ist“ die Akzente hörbar anders, und auch wenn die Bezüge von Textor aka Henrik von Holtum und Quasi Modo aka Sascha Klammt letztlich auf jeden Fall immer mehr auf Public Enemy als Sun Ra oder Mingus basieren, finden sich tiefergehende Beschäftigungen mit Jazzmaterial darin, die weit über das oft und gern praktizierte oberflächliche Genre-Rahm abschöpfen hinausgehen.
Genauso verhält es sich mit den Themen: wenn sich die Ulmer äussern, wollen sie es immer ganz genau wissen. Auf Abiturienten-Stammtisch-Politik haben sie keine Lust, und wenn sie sich jemals politisch äussern würden, hiesse das zurückziehen und Infos sammeln. Aber eine grosse Hoffnung von ihnen ist vor allem, guten HipHop über 30 und auch über 40 machen zu können, und da gibt es ja immer noch Konzeptionen zu füllen: was ist, wenn der sportliche und der jugendliche Battle-Aspekt da raus ist, so Henrik – was kann man dann mit HipHop noch machen? Das sind Herausforderungen, die auf das junge und sehr agile Duo noch zukommen. Doch schon allein in ihrem musikalischem Material lassen sich viele Basics, Details und Gefühle finden, über die sich zu reden lohnt, und das wird nicht nur deutlich, wenn Jimmy Lunceford um die Ecke schwingt. Die Platte ist alles andere als ein Jazz-Seminar, sondern immer und vor allem noch HipHop, aber wer das hier Verhandelte aufmerksam liest, wird wissen, was geht. Und es ist nichts wert, wenn es nicht diesen gewissen na? Swing hat.
„Wäre es nicht cooler gewesen, ihr hättet das Album „Wir sind da, wo unten ist“ genannt?“ Die beiden reagieren vorsichtig-überrascht und wollen wissen, warum. „Ganz einfach: einmal – Unten sein / to be down with -, und dann Beck-mässig: I’m a looser, Baby, – wir sind unten mit Obdachlosen, mit Stilen, einfach weg von diesem Karrieredenken.“ Henrik kapiert sofort: „Der Titel ist auch gesampeld, das ist ein Slogan von einer Dachdeckerfirma. To be down with, der Gedanke war bei mir auch, das haben wir aber verworfen, weil es letztlich doch zu sehr an das ständige „Keep it real“-Street-Gehabe erinnert, das ja mittlerweile zu so komischen Fubu-Auswüchsen pervertiert ist, wo die Leute Klamotten am Leib tragen, die angeblich Ghetto und Style sein sollen und teurer sind als ein Boss-Anzug. Wo also Orientierung und Fixpunkte total aus den Fugen geraten sind, und Klamotten und Style überhaupt nicht mehr zur Orientierung dienen können. Der Titel bedeutet ja von der Formulierung ja auch nicht „Wir sind die Allergrössten“, sondern wir sind da wo oben IST, dh, es ist relativ, wir nehmen oben quasi mit. Und bezüglich dieser gerade beschriebenen Orientierungslosigkeit heisst das: ich muss Fixpunkte irgendwo hinhauen, um mir zu erklären, wo ich eigentlich bin. Und wenn ich mir das aussuchen kann, weil letzten Endes kann ich mir ja jede Position im Kosmos aussuchen, nehme ich letztlich doch die HipHop-Position, und sage „Ich bin der Allergrösste, so, und jetzt hol mich von dem Stuhl runter, wenn du das kannst.“ Ich bin nicht street und underground, sondern ich bin ganz oben, und jetzt sag mir, warum ich das nicht sein soll. Und so gesehen finde ich das sogar noch viel näher an der Tradition von dem HipHop-Gedanken von „Ich bin näher dran und unten mit“, als dieses kokettieren mit „Wir sind echt“ – da sind noch ein paar Ebenen mehr drin in dem Titel, die uns Spass machen, und deswegen haben wir ihn auch genommen.“
Aber ist ein Kokettieren mit einem Looser-Image dann nicht gerade noch cooler? Die beiden stimmen zu: cool sei schon eine Grösse, aber das eigene Versagen oder Fehler zu thematisieren sei für sie schon eine relativ abgegraste Sache, egal, in welcher Szene. Und da sie sich bislang immer ganz bewusst aus Szenen raushielten und Toleranz übten, sagen sie jetzt einfach mal ganz explizit: „OK – hier sind wir, Basta. Nicht: wir haben die Weisheit mit Löffeln gefressen, und ihr nehmt das jetzt besser, sondern wir beziehen auch Position und machen uns angreifbar.“ Führt diese Freestyle-Positionierung letztlich auch dazu, dass man eine andere Samplingkultur fährt, sprich nicht die üblich konnotierten Samples verwendet, sondern eben Jazz-Samples, die man so einsetzt, dass der Bezug da ist, aber anders, eben im Sinne von transparenter Historisierung und Transformation? Henrik: „Diese Frage ist sehr interessant, denn normalerweise kriegen wir selten so Reaktionen. Für uns ist samplen ja so: wenn die Situation im Urheberrecht nicht so wäre, dann wär ich der erste, der eine komplette Liste der Samples aufs Cover schreiben würde, um auch meine eigene Biografie damit zu verdeutlichen und den Leuten dadurch den Zugang zu dem zu verschaffen, was ich da gehört habe. Also ein ganz liebevoller Umgang mit der eigenen musikalischen Geschichte, an der auch Andere teilhaben sollen, nicht nur, weil die Leute dann die Platten mal hören sollen, sondern weil das dann auch verdeutlichen würde, was wir mit den Sachen letztlich gemacht haben. Und weil dann klar wird: so kriegen die das hin, dass das dann so wird – was zu einer ganz anderen Auseinandersetzung damit führen würde. Natürlich vorausgesetzt, man interessiert sich dafür, was ja nicht zwangsläufig sein muss. Der Umgang mit Samples ist bei uns tatsächlich ein ganz bewusster Prozess, aber nicht im Sinne einer Opposition, also ein zwanghaftes Reindrücken oder Pressen, sondern einfach ein Fortsetzen einer eigenen Tradition. Wir haben HipHop so erfahren, und das ist aus unserer Traditionslinie ein Vorschlag, was man noch damit machen kann. Also der Versuch, Konzepte, wie sie Black Sheep oder andere Leute in den frühen 90ern, die ganz massiv sampelten, noch viel mehr als wir, gefahren haben, weiterzutreiben ins Jahr 2002, und mit dieser Methode kommt man noch dahin. Denn HipHop hat ganz viele musikalische Möglichkeiten ausgelassen, die da noch drinstecken, gerade aufgrund der Sampleproblematik, da sich Leute keinen Hals machen wollen, das zu klären, oder aufgrund von soundtechnischen Aspekten, da es schwierig ist, Samples zum klingen zu bringen – was Sascha übrigens Nächte gekostet hat. Sich diese Mühe zu machen, das sind Sachen, auf die wir grossen Wert legen. Es ist ein ganz bewusster Versuch, die Arbeit zu verdeutlichen.“
Der Umgang mit dem anderem Material ist natürlich vor allem der eigentliche Spass für die Ulmer, denn daraus entsteht letztlich ganz viel an eigenen Standpunkten: man versucht etwas herzustellen oder zu kopieren, was man gar nicht kopieren kann. So wie Snoop Dogg mal erzählte, er wollte immer klingen wie Slick Rick, es aber nie geschafft hat, sagt Sascha. Und aus dieser ständigen Beschäftigung kommt dann schliesslich ein Stil, der dann nur noch der ganz eigene sein kann, eben ein ganz neuer Ansatz, wie man mit Sachen arbeiten kann. Und genau das hält HipHop lebendig: auf der einen Seite Material transparent machen, dann aber die Leute auch suchen lassen, und sehen, was neues passiert. Wie ist das dann mit dem Prinzip Jazz – ist das hier ein stärkerer Fixpunkt gewesen als vorher, und was bedeutet es generell für den HipHop im Kinderzimmer?
Henrik: „Da gibt es mehrere Ansätze. Von meinem Umfeld habe ich immer sehr viel Jazz gehabt (Henriks Mutter Lena Möllerström war Mitte / Ende der 60er Jahre eine gefeierte schwedische Jazzsängerin, sein Vater Günther von Holtum ein klassisch ausgebildeter Schlagzeuger), es war auch eine stete Grösse in meiner Plattensammlung. Jazz war immer da. Heute greifen wir in diesen Fundus unserer Platten, und da ist dann wirklich alles dabei, von Ronnys-Pop-Show-Samplern bis neuer Musik – da wird nicht nach edel oder unedel vorselektiert. Dann aber finde ich schon, dass es starke Parallelen im rythmischen Gefüge gibt. Das zeigt sich zb. am deutlichsten Mitte der 90er, als die DJ-Premier-Beats eine starke Vorgabe waren für alles, was an der Eastcoast passierte: diese stark synkopierten Bassdrums, das ist genau das, was Jazzdrummer normalerweise auf einer Ride spielen würden, also die Art mit Synkopen umzugehen, das rythmische Gefühl, diese Art, zu forcieren – diese ganzen Sachen sind stark vergleichbar. Und dass die Drums beim Jazz zwar die rythmische, aber nicht die frequenzmässige Basis liefern – das tut ja normalerweise der Kontrabass-, das rutscht bei HipHop in die Bassdrum runter und wird noch tiefer, noch massiver, einfach noch lauter. Vom Gestus habe ich mich schon immer dem verbunden gefühlt: ich weiss, warum ich beides gerne hab. Da ist schon eine Linie, die vergleichbar ist. Aber HipHop, finde ich, ist wesentlich von den rythmischen Konzepten und was da noch möglich ist, breiter als Jazz. Gut, ich höre hauptsächlich alte Swing-Sachen. Meine Beschäftigung endet meistens 1969, und 1970 ist dann schon wieder draussen, mit Fusion und elektronischen Konzepten im Jazz kann ich wenig anfangen. HipHop beinhaltet aber auch so Sachen wie Miami Bass, ein ganz unterschiedlicher Umgang mit Tempi, und viel breitere Flächen als die Swing-Sachen, auf die ich mich jetzt beziehe. Deshalb ist HipHop für mich auch noch die grössere Faszination, weil es einen eigentlich nicht einschränkt, weder in den Mitteln, noch in der Umsetzung. „
Aber diese enorme stilistische Freiheit ist doch gerade bei Jazz denkbar!
Henrik: „Ja, eigentlich schon auch, aber für mich persönlich ist das, was Jazz zu Jazz macht, mehr als das Mittel der Improvisation. Mir ist das eigentlich zu wenig, denn es gibt Konzepte aus dem E-Bereich, wo auch improvisiert wird und das auch ein starker Teil ist. Ich will mich nicht in die Nesseln setzen, denn ich bin da kein Experte und es ist meine persönliche Definition, aber ich will eine rythmische Konzeption haben oder einen rythmischen Zug, der etwas im weitesten Sinne mit Swing zu tun hat. Leute wie Monk oder Mingus haben soetwas ja auch wieder gebrochen und haben auch Rubato-Sachen und Tempowechsel eingeführt, haben Sachen einfach absaufen lassen, aber im Prinzip ist das, was Jazz für mich zusammenhält, schon der Faktor Swing. Was noch dazukommt: ich bin eher ein rythmischer, eher ein mathematischer Mensch, aber was mir auch vom Jazz zu kommen scheint, ist eine unheimliche Wärme. Und die finde ich in anderen Musikrichtungen so nicht, und ich finde es gut, das transportieren zu können. Und was den 1:1 Rythmus betrifft – wenn man es schafft, damit gegenläufige Sachen zu veranstalten, was wir auf der Platte teilweise gemacht haben, bekommt das einen ganz eigenen Reiz. Es geht dabei darum, rythmische Schwerpunkte zu verschieben. Swing funktioniert ja auf 2 und 4, und HipHop auch – die Bassdrum macht die figurativen Sachen, aber du hast die Snare immer als Konstante auf der 2 und der 4. Und wir haben viele Sachen mit 16teln nach vorne oder nach hinten verschoben, wo wir lange prüfen mussten, ob dies die Strukturen zerhackt, also undurchsichtig macht, und ob wir den Fixpunkt verlieren. Wir sind da oft an die Grenze gegangen: noch einen Ticker weiter, und man hätte nicht mehr gewusst, wo es anfängt oder aufhört: Wo liegt jetzt die Orientierung? Schliesslich hat das Festfahren von diesem DJ Premier-Konzept ja auch zu einer grossen Langeweile geführt, auch im deutschen HipHop – Standardbeat und zweiten Sample einsetzen, und da hat man was, das schon nach HipHop klingt. Und die Art Produktion wollten wir durchbrechen.“
Jazzmässig ein Stück weiterzugehen wäre doch aber, nicht nur mit Swing oder Hardbop-Elementen, sondern auch klassischen Freejazz-Elementen zu arbeiten, weil das ist ja wirklich der edge, wo ja immer noch das rythmische Gerüst gehalten wird, aber immer die Frage im musikalischen Raum steht: wann kippt das Ganze? Und dann noch die sehr bewusste politische Komponente einiger Free-Jazzer, die im HipHop-Kontext ja ultrainteressant sein müsste.
Henrik: „Die politische Komponente…also ich hab zwei Archie Shepp Sachen, und ich schätze Archie hauptsächlich wegen seinem Ton. Weil ich ein grosses Problem habe mit der Suche nach dem eigenen Klang der Endneunziger-Jazzer. Also…Archie auflegen, und wissen: er ist es, Mingus hören: das ist sein Ton, das weiss ich einfach. Das sind unakademische Konzepte, wie man an ein Instrument herangeht, und Missbrauch von Mitteln ist im HipHop ein ganz grosses Thema. Was ich an Archie auch verstehe, aber wo ich nicht ganz mitkomm, ist die politische Komponente, die du da ansprichst, weil Jazz ja letzten Endes, da es zum grössten Teil instrumentale Musik ist, ein abstraktes Ding ist. Und das vermitteln von konkreten politischen Inhalten in diesem Zusammenhang finde ich ultraschwierig, sogar für mich, der ich Texte verwende und eigentlich alle Möglichkeiten habe, Zusammenhänge konkret hinzulegen. Weil ich das Gefühl hab, dass der Kern von Musik immer emotional bleiben muss. Also dass Politik durchaus emotional ist. Also dass man sagt: der ganze politische Rahmen führt zu der Emotion und muss dann da auch durch und raus, das verstehe ich, aber damit politische Arbeit machen zu wollen, halte ich für leicht bedenklich. Ich möchte das ungern überfrachten, nicht überabstrakt sein, nicht wie serielle Kompositionskonzepte, ich will nicht in Zahlenmystik einsteigen, sondern ich will es ganz ganz unmittelbar, weil das ist für mich der grösste Vorteil von Jazz gegenüber klassischen Konzepten ist. Es ist dieselbe Qualität, derselbe Level von Kunst, wenn man so will, aber völlig direkt verständlich. Nicht überintellektualisiert und nicht mit Schablonen versehen, sondern wirklich tight.“
cut.
(Jazzthetik)