The Herbalizer

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HALB JAZZ, HALB B-BOY

Gäbe es eine nach oben offene Richterskala für Relaxtheit, Jake Wherry und Ollie Teeba, Herz und Kernstück des groovemässig derzeit schwer europameisterschaftsverdächtigen britischen HipHop-Soul-Jazz-Projekts „The Herbalizer“, würden heute die wundgelaufenen Füsse lässig auf deren oberen Werte hängen. Sie lümmeln sich im Bett rum, als ich den Raum betrete, und pfeffern ihre „Esquire“-Lektüre nonchalant in die Hotelzimmerecke, als ich mich nach dem werten Befinden erkunde. Ollie mümmelt sich gemütlich in seine Decke ein und Jake fängt erstmal an, redselig sein Schinkensandwich zu verzehren (Nebenbei: er spielt auch in zwei Jazz/Funk/Soul-Bands namens „The Propheteers“ und „Meateaters“). Stressfreie Zeiten are here to stay, und die beiden haben sie sich verdient. Die neue Platte „Very Mercenary“, woanders sonst als auf ihrem Heim- und Stammlabel „Ninja Tunes“ der Herren Kaltschnitt (= Jonathan More und Matt Black a.k.a. „Coldcut“) erschienen, ist frisch raus, und vom Prozess des Abschliessens einer lang gehegten und immer wieder geprüften Materialsammlung bis zur Präsentation derselben in der Öffentlichkeit kann man schon mal etwas aus der Puste kommen. Vor drei Wochen erst mixten sie als letzten Track des Albums „When I Shine“, der auf wunderbare Weise die Rapperin Bahamadia vorstellt, die ganze Nacht durch, kein Schlaf, bis 11 Uhr vormittags, kurze Pause, dann 14 Stunden am Stück mastern, Abgabe, ein Day-off zum Luftholen und dann direkt nach New York, um das Album zu promoten. Die neue Platte haben sie noch nicht mal in einem go gehört. Und jetzt hängen sie hier in diesem Hotelzimmer ab und atmen ersteinmal tiiief durch.

Was ist überhaupt ein „Herbalizer“? Natürlich eine Hommage an Peter Herbolzheimer, antworten die beiden ungefragt und ohne jegliche Ironie, nur mit einem Augenzwinkern, dass natürlich auch durch zuviel Herbals im Zimmer entstehen kann. Der verehrte Namensgeber, sollte er dies hier lesen, wäre den beiden wahrhaft hochwillkommen, um demnächst ihre Horn-Section zu arrangieren. Bis es dahin kommen wird, produzieren Jake und Ollie weiterhin in ihrem Studio in einer alten Lagerhalle im verschlafenem Twickenham bei London den Kern ihrer Tracks und arrangieren und reproduzieren das fantastische Material live mit einer 8-köpfigen Band, insklusive Ollie, der seitdem er 16 ist und in verschiedenen Londoner Clubs HipHop, Funk und Elektro mixte, als DJ. Auf der Bühne sind „The Herbalizer“ eine überzeugende schweisstreibende und kantig-elegante Fusion eines lebendigen Rare-Break-Grooves, den sie dort mit frischen Mix’n Cut-Techniken und ausgesuchter Sampledelic verbinden, allgemein bilden sie eine der besten aktuellen kontinentalen Schnittstellen aus instrumentellem HipHop, kickendem und fliessendem Rap, schwül-treibendem Jazz und entspannt-melodiösem Soul. Puh. Es fliesst. Eine ganze Menge sogar. Im Vergleich zum 1997er Album „Blow your Headphones“ hat sich einiges geändert: es wurde ungleich mehr Equipment benutzt, mehr Spuren, und man arbeitete die letzten 18 Monate mithilfe verschiedener Rapper wie eben „Bahamadia“, „Blade“, „What What“, „Roots Manuva“ oder den „Dream Warriors“ (Remember „My Definition Of Jazz“ ?) an einer Trackkollektion, die dem Gestus des allerersten Albums „Remedies“ sehr nahe kommt. Diese Platte, die die beiden damals 4 Jahre Arbeit kostete, zeichnete sich vor allem durch ausgeklügelte Melodiösität und Funkyness, einige nannten dies damals noch „Acid Jazz“, aus, die Atmo des Nachfolgers „Blow Your Headphones“ dagegen war eher düster und verstörend, intensive Killertracks, die sich gegen allzu slicke Acid Jazz-Styles geschickt und mit einer gewissen Rauhheit abzugrenzen wusste. Die Musik des Herbalizers bekam hier zudem eine auralcinematographische Dimension, und diese hat sich auf „Very Mercenary“ mit einem Bogen zu den Tugenden von „Remedies“ komplettiert und erweitert. Das Netzwerk des Fortschritts weitet sich aus, so die beiden wissend, aber sie nehmen sich nicht allzu ernst dabei. „Wir planen die Dinge nicht zu sehr. Wir stehen auf Stimmungen. Das ist es, was zb. Leute wie Les Baxter und frühe Exotica-Sachen auszeichnet. Jetzt wird es „easy listening“ genannt, aber damals hiess es mood music“, so Ollie. Diese Affinität zu schwülen, exotischen Soundscapes, gekennzeichnet durch viel Vibes, Reverb und Perkussion, wird mit den Vorlieben für die erdigen Groovestile zusammengemixt. Als Paralellreferenz sei hier an das grossartige „La Yellow 357“-Projekt diverser französischer Produzenten, u.a. DJ Cam, von 1995 erinnert. Nur wenige Platten aus den so vielzitierten Freestyle-Files instrumenteller HipHop-Downbeats (some called that Trip Hop), moody House und Soundscores hatten diese Brillianz und Schärfentiefe, die damals wie heute noch begeistert. Genau hier knüpft das neue Format der Herbalizer an und erweitert die Palette um einige Komponenten. „Wenn wir im Studio sind, intellektualisieren wir nicht rum“, so Jake, „und fragen, woher genau das kommt oder ob jenes vielleicht dieser oder der Platte ähnlich klingt. Gleichsam suchen wir die Samples sehr genau aus. Einige Leute nehmen gewisse Samples, um ihre Sachen „aufzujazzen“, das funktioniert aber nicht. Du musst Verständnis von dem haben, was Du machst. Wir nehmen sogar Pierre Henri und solche Sachen auf.“ Ollie ergänzt: „Es ist nicht immer die Stärke von HipHop-Produzenten, die brilliant im Programmieren und Scratchen sind, dass sie Imagination haben, wenn es um das Quellenmaterial geht. Es gibt derart viele Produzenten, die alle die gleichen Beats benutzen wie alle anderen, im Drum & Bass scheint es derzeit immer noch sowas wie 5 verschiedene Breaks zu geben. Es gibt Ausnahmen, Funky Porcini und Amon Tobin zb. (Seltsamerweise beide highly recommended Ninja-Artists…), auch wenn sie nicht strictly D&B machen, sie arbeiten daran, so wenn Amon zb. Buddy Rich-Solos zerpflückt und Beats daraus macht.“ Die Herbalizer nutzen hier natürlich klar ihren kulturkanonmässigen Vorteil, denn wer viel kennt, wenn er in Kultur schwimmt, kann logisch umso mehr schöpfen. Dazu kommen die Querverbindungen zu ähnlich gepolten Grooveforschern: „Der Herbalizer ist nichts ohne DJ Malachi und seine unglaubliche Plattensammlung. Er ist in fast allem von uns mit drin“, geben die beiden dem Londoner offenen Respekt. Das Ziel ist, aus dem favorisiertem old-school-stuff etwas organisches neues zu mnachen. Früher arbeiteten sie mit einem „Black and White Mac Classic II“, da dauerte es schon mal 2-3 Monate, alle Samples zu editieren. Jetzt, mit dem Power Mac, dauert es 6 Tage und Nächte. „Wir schneiden die Dinge in kleine Teile und ziehen sie oder tunen sie anders und schaffen es, dass sie auf sagen wir 110 BPM arbeiten. Wir benutzen Cubase VST. Die meisten unserer Tracks veranschlagen so 10 Tage. Hier, schau mal“ – Jake zeigt auf sein Notebook – „mit einer Software wie Rebirth kannst Du Dancetracks in 1,2 Stunden produzieren. Aber nicht mit dem Herbalizer. We spend time on our music“, sagt er, und es klingt wie in einer Reklame für einen uralten Whisky oder ein von Hand zusammengeschraubtes Auto. Die Arbeitsweise von Ollie und Jake hat sich diesbezüglich verändert, bedingt durch das Livespiel und das Anwachsen der Band „Herbalizer“. Die letzte Platte wurde eben um die Samples herum arrangiert, an die man sich dann live halten musste. „Auf der Bühne geht es sowieso immer mehr in eine Jazz-Richtung, es gibt Improvisationen innerhalb der Strukturen. „Jazz“ heisst natürlich nicht in einer traditionellen Art, es ist funky Jazz, Acid Jazz: es ist sehr tight strukturiert, sehr solide, sehr tanzbar. Nicht „noodly“, also kein selbstbefriedigendes Määndern mit dem Instrument. Wir sind nicht selbstbezogen – wir halten es solide. Keep it tight! Gleichsam: nach einem Jahr Tour entwickelten sich naturgemäss viele der Tracks zu etwas Anderem, also dachten wir: bei diesem Album machen wir’s gleich anders.“ Infolgedessen gibt es auf der neuen Platte nurmehr ein komplett aus Samplen zusammengesetztes Stück (das sehr an John Barry-Arrangements erinnernde „Goldrush“), alles andere wird mittels „echter“ Instrumentierung eingespielt. Sind „real musicians“ dann die besseren HipHopper? Die beiden verneinen das entschieden. „Nicht besser! Manchmal bringen Beschränkungen, auch in der Arbeitsweise, grosse Vorteile. Aber wir haben uns ab jetzt entschieden, alles nur noch mit der Band zu machen. Wir geben ihnen von Anfang an die Samples, und sie addieren die Tiefe dazu.“ Diese Betonung ist ihnen wichtig, da die Musik anders funktioniert als zb. bei „Portishead“: dort wird gejammt und der Prozess später mittels Vinyl, Sampler und Instrumentierung „gecuttet“, bei „The Herbalizer“ ist es gerade umgekehrt. „Es ist nicht normal, was wir machen, aber es ist gut, und unkonventionelle Sachen sind wichtig für Brüche in der Musikentwicklung. Und Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden“, bringt Ollie den „basic approach“ des Herbalizers auf den Punkt. Den geneigten LeserInnen werden gewisse Vergleiche zur Arbeitsweise von „Nightmares on Wax“ nicht entgangen sein. Wenn dann noch eine Schublade aufgezogen werden muss, liegt dort matt glänzend, das Wort „Retro-Futurismus“. Aber nur, um sich innerhalb von Nanosekunden in Staub aufzulösen. Denn es gibt nichts, was der Herbalizer weniger mag als Trendbegriffe. In ihren Stildefinitionen sind sie sehr bewusst und präzise, ohne den Humor oder das gemeinschaftliche Gefühl für die Musikszene zu verlieren. Der Geschichte von HipHop geben sie in dem Intro von „Wall Crawling Giant Insects Breaks“ durch eine gesamplete Sequenz aus der „Style Wars“-Dokumentation ihre Credits. Ollie und Jake: seid ihr Homeboys? Nach abschätzendem Abwarten gibt Ollie schliesslich zu: „Ich bin ein B-Boy“, und Jake: „Und ich ein halber. Halb Jazz, halb B-Boy.“ Mittlerweile deejayt Jake auch, jedoch tun es beide, bedingt durch Produktion und Livespiel, eher unregelmässig. Ollie wird über eine DJ-Agentur gebucht, die auch die „Spice Girls“ betreuen. Seit kurzem wohnt er in Camberwell, einer der übelsten Gegenden Londons im Südosten, so Jake – nirgendwo anders in der Hauptstadt gebe es mehr murders and muggings. Warum bist Du dahin gezogen, frage ich natürlich. Na ja, weil er lange bei seiner Mutter in Twickenham gewohnt hat und es Zeit wurde, auszuziehen. „Der DJ, der bei seiner Mutter wohnt“, frotzelt Jake. „Ist doch cool“, sage ich. „Und ist Camberwell wirklich so hart?“ Ollie antwortet: „Ich laufe rum wie ein mugger, deshalb werde ich nicht gemuggt.“ Und Jake, der mittlerweile Frau und Baby hat, betreut weiterhin das Studio in der Homebase Twickenham. Soviel zum Thema Homeboys. Der Herbalizer kratzt sich am Kopf und ich verteile heimlich Küsse. Die beiden haben es verdient, dass ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Kräftig wünschen hilft ja manchmal. Und vielleicht kommen dann ja noch ganz andere Verbindungen zustande. Denn wer die Herbals im Heim hat, braucht sich um den Herbolzheimer nicht zu sorgen.

(Jazzthetik)

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