Niobe

WAS IST DAS FÜR EINE KASPERMUSIK?

Richtig schöne Kaspermusik ist selten geworden. Während sich nicht wenige ProduzentInnen elektronischer Musik gerne auf einen vermeintlich „sicheren“ oder „amtlichen“ Moment verlassen, macht die in Köln lebende Yvonne Cornelius unter dem Namen Niobe bemerkenswert originelle Musik, auf die man schnell hinweisen sollte, bevor sie wieder ihren sehr eigenen Weg geht. Den gilt es hier im Groben nachzuzeichnen und zu fragen, was zu dieser erfreulich konsequenten Eigenständigkeit geführt hat. Wenn einem dabei morgens im Radio Pergolesis „Stabat Mater“ begegnet und Niobe wenig später im Gespräch ebendieses Stück lobend erwähnt, wird die Sache naturgemäß noch interessanter, aber insgesamt auch schlüssiger.

Niobes Musik lässt sich auch so beschreiben: rhythmische bis elegische Comic-Lieder mit dem Bewusstsein von und der Vorliebe für neue Musik. Angefangen hat Yvonne Cornelius jedoch mit klassischer Musik, indem sie Operngesang in Frankfurt studierte. “Ich wusste schon ganz früh, dass ich einmal in der Musik enden werde“, sagt der Opern- und Klassikfan, „habe aber sehr schnell festgestellt, dass das, was ich so sehr liebe, schon 10000mal besser gesungen wurde. Leute wie die Callas haben solche Meilensteine gesetzt, da muss man nicht in der Vergangenheit rumwühlen und darin schwelgen. Es reicht zu wissen, dass es so gute Sachen gab, und daran kann man sich freuen.“ Schon mit 14 fing sie an, alle möglichen Gesangsstücke vorwärts- und rückwärts zu singen und bemerkte schnell, dass sie eine sehr hohe und feine Stimme hat. Von den Eltern keinesfalls musikalisch gestützt und gefördert, sondern eher behindert worden, bekam sie schließlich, ausgehend vom Musiklehrer, eine städtische Förderung zum kostenlosen Unterricht. „Ich bin da wirklich reingepurzelt, wie in Trance (sie lacht), und hatte vor, etwas Neues zu entwickeln.“ Doch über die Jahre ruinierte sie ihren glasklaren Gesang mit „Apfelwein und Leben“, wie sie sagt, und wendete sich von der klassischen immer mehr der Neuen Musik zu. An der Universität setzte sich diese Präferenz fort, dazu kam die traditionelle Ausrichtung der Akademie, die mit ihrem Charakter und ihrem künstlerischem Selbstverständnis und Lebensstil kollidierte. „Ich flog von der Schule, ich war zu unverschämt.“ Heute ist dieses Kapitel gegessen, der Zug dieser Musik generell für sie abgefahren, und es interessiert überhaupt nicht mehr, winkt sie rigoros ab. Das alles geschah 1988 in Frankfurt, wo sie sich zunehmend und immer konsequenter ihre eigene musikalische Welt baute, die resolut von den Parametern ihres spezifischen Interesses bestimmt war. „Einen Aufbruch von elektronischer Musik oder ähnlichem habe ich damals in Frankfurt überhaupt nicht mitbekommen. Nicht etwa, weil ich uninteressiert oder beleidigt war, aber das, was mich wirklich interessierte, kannte keiner, das gab es einfach nicht: Alban Berg, Arvo Pärth, Morten Feldmann, das kannte kein Mensch. Meine Äuglein glänzten, aber die Umgebung passte nicht.“ So ging sie 1994 nach Köln, und das fühlte sich so an: „Diese Stadt hat mich umgeworfen! Es ist eine Liebe, es ist unglaublich…wie ein Mann, mit dem man 10 Jahre zusammen ist, und man ist immer noch verknallt. Ich könnte sterben für dies Stadt, hier ist auch irgendwas, und hier habe ich etwas gefunden. Damals eigentlich gar nichts, denn ich habe mich eigentlich nur eingesperrt (lacht laut)…unlogischerweise…ich kannte niemanden. Bin nur durch die Stadt gelaufen und habe mir die Häuser angeschaut und habe nur mit dem kleinen Studio gearbeitet, dass ich aus Frankfurt mitgenommen hatte: Hardwaresequenzer, Tonbandmaschine, Effektgeräte, 8-Spur-Gerät…und eine Akustikgitarre. Die habe ich aber nie gelernt, ich spiele nur die Saiten. Ich mache einfach, ich höre, ob es stimmt.“ Und es stimmte. Eigentlich wurde Yvonne Cornelius erst in Köln zu Niobe. Noch konsequenter und suchender verfolgte sie ihre Musik, aber nicht etwa eigenbrötlerisch oder gar frustriert, sondern vielmehr glücklich. „Zu der Zeit habe ich auch nicht mehr gesucht, sondern nur noch gefunden.“

Erst 1998 kommt Niobe mit ersten Ergebnisse heraus und präsentiert sie ihrer Umwelt. Gab es offene Ohren? „Überhaupt nicht! Es gab keine Ablehnung, aber totale Verständnislosigkeit. “Was ist das für eine Kaspermusik?“, sagte man mir, und ich dachte: es stimmt – wer diese Musik herausbringt, muss ein totales Risiko eingehen.“ Das kleine Kölner Label Tomlab ging es schließlich ein und brachte 2001 mit „Radioersatz“ und neun Stücken auf fast 26 Minuten schon den Vorgeschmack auf das heraus, was aktuell auf „Tse Tse“ zu hören ist: hochkonzentriert dynamische wie traumwandlerisch somnabule Lieder, getränkt von Hörspiel- und Showmusikelementen, deren Klang- und Rhythmusästhetik dem komplexem und forschendem Gestus der Neuen Musik mehr als verbunden ist. Schon davor hat Yvonne Cornelius Platten rausgebracht, aber darüber will sie nicht reden. Wir stoßen eher zufällig darauf, als sie Maceo Parkers Namen auf dem Jazzthetik-Cover liest und sagt, dass sie einst in dessem Vorprogramm gespielt habe. Doch daran will sie sich selbst nicht mehr erinnern, es war eine andere Zeit, die heute nicht mehr interessiert. Eine Vergangenheit, zu der sie zwar steht, aber an die sie nicht so gerne zurückdenkt, geprägt durch Stress mit Bands und Frust über diese sehr komplexen musikalischen Gebilde und Zwangskollektive. Aber in dieser Vergangenheit liegt eben ein wesentlicher Impuls, es musikalisch nur noch alleine machen zu wollen, bedingt durch Bandkollegen voller Vorurteile und Zwangsvorstellungen, welche die eigene Kreativität und die Impulse mit ihren festen und starren Vorstellungen eher niederwalzen und zerstören, als sie als mögliches kreatives Potenzial zu erkennen. Auch damals kannte kein Mensch die Musik, die sie interessierte (wie etwa das Pinguin Cafe Orchestra), und es gab große Frusterlebnisse, die aber wichtig für ihren folgenden Weg waren, denn alleine, sagt sie, hätte sie es nicht gelernt, endlich zu der Musik zu kommen, die sie wirklich machen will. Die Bekanntschaft zum Sonig-Label schließlich kam durch Freunde von ihr. „Das war so 1998. Ich kannte Mouse on Mars gar nicht, und später ist mir aufgefallen, dass das meine Helden sind, wie viele Sonig-Leute. FX Randomiz z.B. haut mich völlig um, so akkurat und perfekt, und doch die Fähigkeit, so tief zu gehen.“

Auf „Tse Tse“ besticht nicht zuletzt Niobes Gesang: alle Stimmen – „jeder Piepser!“ – sind von ihr. Und was hat es mit diesen Elementen der US-amerikanischen Show- und Barmusik der 40er Jahre auf sich? “Das reflektiert meine Comicwelt, in die ich, muss ich zugeben, ganz schön verstrickt bin. Ich liebe Comics, Filme von Hitchcock, Schwarz-Weiss-Filme…das kommt irgendwann wieder zurück.“ Gesanglich liebt sie die Crew Cuts oder Screaming Jay Hawkins, das sei unglaubliche Musik.“ Wobei ihr der Gesang nicht wirklich wichtig sondern vielmehr nur ein weiteres Instrument ist. „Eine Leadstimme betrachte ich nur als Element, insofern gibt es also keinen Hauptgesang.“ Die Texte hingegen überließ sie komplett ihrer Freundin Janeta Schude, zu der sie eine „unglaublich feine Freundschaft, ein nahezu schon telepathisches Verhältnis“ hat. „Sie kann perfekt englisch, und auch sonst haben wir ein gegenseitiges tiefes Verständnis füreinander“ sagt sie über Schude, der unter anderem auch die Platte gewidmet ist. Die Studiotechnik hingegen blieb weiterhin rudimentär. „Ich habe jetzt statt vier bereits acht Megabytes zum samplen“, lacht sie, „und es gibt noch viel zu viel aus dieser Beschränkung herauszuholen. Das ist so ein Druck an mich selbst. Ich will schon aufstocken, aber ich will mich nicht selbst mit Technik überfordern.“ Lo-Fi ist hier nicht das Ding, eher geht es um Krabbelgeräusche – die minimalen Fehler, auch Kabeldefekte, das ist Teil der Musik für Niobe, das muss und will sie nicht eliminieren. „Mich interessiert die Störung und die Geräusche, die dabei auftreten, gerade live. Das gehört dazu.“ Daher auch nicht der Wunsch nach einem Laptop, denn irgendwie hat sie ein schlechtes Gefühl bei Computern. Zuviel Planung ist unkreativ, auch beim Aufnahmeprozess. “Es gibt kein Konzept bei dieser Musik. Es gibt ein Vorkrabbeln, ein Vortasten und ein permanentes Löschen. Ich arbeite wie ein Sisyphus. Nach zwei Stunden Arbeit ist manchmal alles weg. Ich will auch keine Archive stapeln, es muss direkt sein: entweder jetzt, oder gar nicht.“ Beim Produzieren kommt sie in einen regelrechten Trancezustand, der fertige Track wird dann über billige Holzboxen vom Flohmarkt überprüft – darüber muss es sich gut anhören, so Niobe.

Wie gut und anregend diese Musik auch ist, eines ist hier doch zu bemängeln: sie wirkt vorrangig durch die wunderschöne Dynamik ihrer Arrangements und deren ungewöhnliche Klangkonstruktion, woraus sie Tiefe und Traum erzeugen kann. Die tontechnische Seite jedoch , die bei Musik weissgott nicht im Vordergrund stehen, sondern selbstverständliches Fundament dafür sein sollte, gerät hingegen etwas ins Hintertreffen. Will sagen: über Kopfhörer verliert das ganze leider an Klangraum, an Wärme und damit etwas an Klasse. Niobe versteht sofort und sieht ein, dass ihre außergewöhnliche Platte hier tatsächlich ein kleines Manko aufzuweisen hat, das zu vermeiden gewesen wäre. Am Mastering von Andi Thoma (Mouse on Mars) kann es nun wirklich nicht liegen, vielmehr klingt der Gesamtsound durch die beschränkte digitale Technik etwas zu spitz, höhenlastig und eindimensional, anstatt dass diesen Klanglandschaften schon zu Beginn Raumklang mit Fülle und Wärme verliehen worden wäre. Wie sieht sie das? Ein bisschen Wärme fehlt, gibt sie zu, das ist richtig. Sie schaut aufs Cover und ärgert sich prompt: „Es stimmt, Always Pointing Skywards z.B., da habe ich etwas falsch gemacht, es einfach auf den DAT-Recorder geknallt. Diesmal habe ich nicht zu sehr auf den Sound geachtet wie bei der „Radioersatz“, da musste alles genau sein und fein stimmen.“ Doch eine Lo-Fi-Haltung, wo Charme wichtiger als ein guter Klang sein soll, interessiert sie gar nicht: „Ich existiere in meiner Parallelwelt und sehe zu, dass ich mich selbst unterhalte, und wenn ich Glück habe, interessiert’s die anderen genauso.“

Das ist schwer zu hoffen. Kannst du von deiner Musik leben, Niobe? „Mittlerweile doch. Ich mache Konzerte oder lege Platten auf, irgendwoher kommt immer etwas. Was ich aber wahnsinnig gerne mache, und das kann kein Mensch verstehen, ist Garderobe zu machen. Den Menschen die Kleider abzunehmen und aufzuhängen, das ist ein unglaublicher Traumjob, wirklich. Mir gefallen die Ladies, mit denen ich da arbeite, unglaublich helle Personen, sehr oft Hausfrauen, aber sehr interessante Menschen mit unglaublichem Lebenswissen, unglaublich schnell und schlau, so entspannt und bescheiden und so sweet…ich weiß nicht, was die Leute von den Frauen halten, die ihre Klamotten entgegennehmen – aber ich weiß, dass sie saucool sind.“

Radioersatz CD (Tomlab, 2001)

Tse Tse CD / Vinyl (Sonig, 2003)

(Jazzthetik)

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