Die Enttäuschung


LET’S COOL ONE – MONKS CASINO

Von Marcus Maida

So war das damals: man ging ins Parkhaus Treptow, schmiss einen Haschkeks, bestellte sich Rotwein und hörte Live-Jazz. Ziemlich spießig also. Aber diese Ankündigung „Monks Gesamtwerk in einer Woche“, gespielt von einer Jazzband mit Spielern, denen man trauen konnte, zudem angeführt vom geschätzten Alexander von Schlippenbach, lockte denn doch erwartungsvoll in diesen typischen Jazzkeller, wo die Musik so direkt war, dass man sie atmen und anfassen konnte. Es war ein ereignisreiches und sehr inspirierendes Konzert, allein deshalb, weil man wie die Spieler in der Musik Monks, die so seltsam abgezirkelt und gleichsam stets überschreitend wirkt, geradezu baden konnte. Oder: sie essen konnte. Atmen und Anfassen hatte ich schon? Ich hoffe, dass klar wird, was hier wirklich wichtig war.
Irgendwie scheint es nur logisch, auf jeden Fall überrascht es nicht wirklich, dass ein knappes Jahrzehnt später das Schweizer Intakt Label, dem sehr viel um ein selbstverständliches hochqualitatives Abbilden des Lebendigen in der improvisierten Musik gelegen ist, sich und uns zum Anlass seines 100sten Release ebenjenes Monk-Projekt unter dem Titel MONK’S CASINO auf drei CDs herausbringt. Das Konzept hatte sich mittlerweile jedoch verdichtet: Schlippenbach (Piano), Axel Dörner (Trompete), Rudi Mahall (Bassklarinette), Jan Roder (Bass) und Uli Jennessen (Drums), letztere vier Musiker auch als die Berliner Band „Die Enttäuschung“ firmierend, hatten das gesamte musikalische Material von Thelonious Monk in ein insgesamt fünfstündiges Liveset arrangiert, entgegen den damaligen Auftritten, die das Material über den Verlauf einer Woche präsentierten. 72 Stücke, die in ca. dreieinhalb Stunden reiner Spielzeit in drei Sets präsentiert werden – was ist das denn? Und was hat das? Ist das Nerd-Wahnsinn, Erbsen-Zählerei, Fanatiker-Sportswahn? Oder einfach nur, wir erinnern uns, baden, essen, atmen, anfassen?

Die Themen hat der Fünfer mittlerweile sowas von intus, spielt sie mitunter Schlag auf Schlag, manchmal schieben sich sogar zwei Stücke übereinander – der Spielfluss ist halt alles. Nach der Sichtung des Materials, dem kopieren von Kopien und unzähligen Sessions, in denen die Stücke herausgehört werden mussten, goss man dann eigene Arrangements und erlaubt sich darin eigene Freiheiten. Das offizielle Monk-Fakebook von 2002 mit 70 Stücken gab es damals noch gar nicht. Und die Spieler fanden schließlich auch noch zwei bislang unbekannte Stücke.
Was hören wir auf den Platten? Hochleistungssport? Mitnichten. Es geht vor allem darum, den jeweils eigenen Charakter eines bestimmten Stückes zu finden und darzustellen, und es geht, logisch, weniger um harmonische Themen oder gar die möglichst feste Wiedergabe davon. Präzise und konzentriert spiel-sportelt-schauspielert man mit lässigem Humor innerhalb einer Sprache, die sehr an ursprüngliche Idiome von Jazz anknüpft: Konzentration und gleichzeitige permanente Überschreitung, Einzäunungen und Ausbrüche. Die Aufnahme spiegelt das ebenfalls wieder: One Takes only, Alternates nur bei ganz groben Schnitzern – eine Reminiszenz an längst vergangene Jazzaufnahmesituationen. Monks Musik wird enggeführt und zugleich revitalisiert. Möglich gemacht hat das Intakt, jenes famose und ambitionierte Label, das vor allem Patrik Landolt, der auch einst die linke Schweizer WOZ mitgegründet hat, entscheidend prägt. Expect the Unexpected!

(Seven)

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