Einstürzende Neubauten

MITGEMACHT, BARGELD LACHT

(Titel des aktuellen Stücks vom Kölner Millowitsch-Theater)

Ein Aprilscherz macht Geschichte: am 1. April 1980 findet in Berlin das erste Konzert einer spontan entstandenen Formation namens „Einstürzende Neubauten“ statt. Das Prinzip heisst Zufall, Chaos, Unorganisation. In dieser Plazenta schwimmen Blixa Bargeld, N.U. Unruh, Gudrun Gut und Beate Bartel. Das „Konzept der Konzeptlosigkeit“ wird in den ersten Jahren der Formation konsequent durchgehalten. Die Corporate ID der Band bleibt flüchtig, dissonant, pathetisch, versinkt in jugendweiser Melancholie und salbt die Ohren des Publikums mit ihrer schwarzen Galle. Doch das Chaos und der anfängliche brachiale Klang der Neubauten verfeinert sich zusehends. Wollten sie zu Beginn ihre industrial-beeinflussten Kakaphonien den Leuten so lange ins Hirm hämmern, bis diese den Klang der Presslufthämmer auf der Strasse als Musik empfinden würden, entwickelte sich aus der stetigen Neugier der Band auf Klänge und deren Erzeugung eine logische Verfeinerung des Umgangs mit dem Material, die bis zur Hinwendung zu Songstrukturen ging. Die Coverversion des Lee Hazelwood / Nancy Sinatra Klassikers „Sand“ war seinerzeit Statement und erneuter Ausgangspunkt der Band, ihre Sprache auch in Paralelluniversen zu sprechen. Ab da an erfolgten stetige Häutungen, welche die Band bis in das vielzitierte Feuilletton führten, wo sie jedoch nicht zwangsläufig zu Hause sind. Doch in der Süddeutschen war letztens wieder zu lesen, Blixa Bargeld geriere sich als tiefschichtiger Botho Strauss der U-Musik, und auch die neue Platte „Silence Is Sexy“ wird Einigen dem Klischee einer realitätsentrückten Klassik der Neubauten wieder neues Futter geben, die bei der Frage „Was ist die Befindlichkeit des Landes“ aufheulen werden, wenn Blixa in der Gestalt des Engels Melancholia über die neue Mitte der Berliner Republik schwebt und in schwarzgalligen Visionen jetzt schon die Risse und potenziellen Ruinen der Betonhochburgen vom Potsdamer Platz erkennen kann. Im Hotel empfängt mich Johnny Cash’s Namensvetter im Kaminzimmer, nicht ohne auf das gaserzeugte Feuer darin zu verweisen. Ein echter Pyromane spürt die Künstlichkeit des zivilisierten Verfalls sofort. Aber lassen wir die Stilklischees weg, denn es ist alles ganz einfach. Die Neubauten haben ein brilliantes Album gemacht, das ein sehr disparates Material von fast drei Jahren zusammenträgt. Vom Titelstück, dessen Strophe aus dem spannungsvollen Schweigen der Band besteht, strukturiert nur durch das Ziehen Blixas an einer Zigarette, über den chansonartigen „Musentango“, in dem der tief versteckte Humor der Band etwas deutlich ironischer wird, der kontrollierten Ausschweifung und völligen Zerfaserung der Gedankentexte in „Redukt“, die durch die Band wieder auf den Punkt gebracht wird, bis zum 18minütigen Improvisationsausschnitt „Pelikanol“, das die Stärke der Band im sensiblen und hellwachen Umgang mit Klang erneut unter Beweis stellt, zeigt sich ein Panorama, das eindrucksvoll beweist, das die Neubauten nach wie vor eine der stilbildendsten Bands dieses Landes waren und sind. Die wichtigsten Entwicklungen sind zum ersten mal seit 20 Jahren ein eigener Proberaum, der präzise Aufnahmeprozess (u.a. in Conny Planck’s altem Studio) mit punktgenauer Mikrofonierung und vor allen Dingen die Tatsache, dass mit Jochen Arbeit und Rudi Moser zwei neue, anders und teilweise fragiler spielende Bandmitglieder beteiligt sind. Der Stil verfeinert und differenziert sich erneut. „Wir sind nicht die Band, um radikale Kehrtwendungen zu machen“, versichert Blixa, „in dieser Beschäftigung kannst Du sonst nur aufgeben oder Dich auf einen Punkt zurückziehen, der gesichert ist.“ Stagnation auf hohem Niveau lässt sich den Neubauten trotzdem keineswegs vorwerfen, denn die Ufer dieser Ausnahmeband gehen seit jeher ins lose. Bis zum erneuten Redukt.

(Intro)

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