Appliance

NATÜRLICH WIE ATMEN, KÜNSTLICH WIE ATEMANHALTEN

Eine der atmosphärisch dichtesten und interessantesten Anlehnungen an die derzeit in vielen popmusikalischen Zsammenhängen recycleten Klänge der Früh- bis Mittachtziger Jahre betreibt das britische Trio Appliance. Man wird vor allem spontan an die ganz frühen Simple Minds erinnert, aber auch bisweilen an ein synthetisches Milleniumsupdate im Sinne der späten Joy Division. Natürlich sind Appliance keine New-Wave-Retrogardisten, aber so ganz innovativ, wie man die Briten gerne hätte, klingen sie nun auch wieder nicht. Dafür allerdings so gut, dass ihr geschlossener Sound zwischen Gefühl und Präzision die Prinzipien Minimalismus und Fülle genauso wie die Pole Konkretion und Abstraktion in einer unspektakulären, aber impressionsreichen und anregenden Spannung halten kann. Ihre Musik formuliert sich an einer mittlerweile oft bearbeiteten Schnittstelle aus Bandformat und elektronischen Klängen, wobei diese Ehen nun natürlich auch schon in die Jahre gekommen sind und nicht automatisch für Begeisterung sorgen – jede Wald-und-Wiesen-Band erdet ihre Musik mittlerweile elektronisch, schmeisst hoffnungsvoll den Sampler an oder nimmt den DJ mit ins Handgepäck. Selbst Bands, die seit Jahren uninspiriert und erfolglos vor sich hindümplen, schnüffeln auf einmal Morgenluft und springen auf den abgesessensten Bummelzug. Appliance jedoch arbeiten schon lange an diesen Schnittstellen, hierzulande vielleicht mit Kreidler, To Rococo Rot oder Tarwater vergleichbar, zu denen sie während ihrer Deutschlandtour 1999 folgerichtig Kontakte knüpften. Allerdings steht bei Appliance der Song stets im Vordergrund und ist der Ausgangspunkt, von dem sich sämtliche Klangforschung ableitet. Kunststudent und Maler James Brooks (Vocals, Keyboards, Gitarre und Sampler) und David Ireland (Rythmik) gründeten das Projekt Ende der 80er im englischen Provinznest Exeter. Doch erst 1996 fanden sie in Michael Parker (Bass, Keyboards, Violine) den geeigneten dritten Mann – wohlgemerkt zu einer Zeit, als Techno und Dancemusik eine Hochzeit nach der anderen auf dem Kontinent feierten – und es wahrlich nichts uncooleres gab, als eine Band zu gründen.

Früh morgens wälzen James Brooks und ich uns viel zu früh aus den Federn, um an einer zudem ständig krackelnden Telefonleitung einige Grundsätze und Entwicklungslinien der Arbeit von Appliance abzuklären – die Band ist auf der anderen Seite des Kanals auf Tour mit dem audiophilen Wunderwerk Goldfrapp, und die läuft bestens. Keiner tanzt, alle hören zu. Ich auch, und dabei beginne ich zu verstehen. Mit repetitiven Beats für Tanzflure hat diese Band wahrlich nichts am Hut, vielmehr setzt man auf Hypnotik und Psychedelik zwischen Konstrukt und Elegie. Während der Techno-Prime-Time interessierte sich Appliance folgerichtig für alles, was kopf- und gedankenlastiger war, so Brooks, und suchte vielmehr die Nähe zu Drone-artigen Klängen und hypnotischen Mantras, experimentellen Klangwelten des Underground eben, die simpel, aber intensiv waren. Droppen wir das Namedropping, aber Spacemen 3 sind ein wichtiger zu nennender Bezugspunkt für die Band, da sie deren Sound vorwegnahmen. Appliance jedoch justieren den Keyboardsound genauer und binden die psychedelischen Energien in ein kompaktes Songformat, das seine Klangtiefen durch eine gewisse Engführung des Formats erzeugt – und in diesem Kanal trifft sich jene eigentümliche Mischung aus Weichheit und Kühle, die diese Musik so anregend macht. Vorstellen lässt sich das so: die Band improvisiert innerhalb von „aufregenden und interessanten Kontrasten“, wobei nicht selten Elegien von 20 Minuten Länge entstehen. Diese „Drone-Pieces“ werden schliesslich zu einem Song „heruntergeschrieben“, so Brooks. „Ständig werden bei uns Entscheidungen innerhalb der Musik getroffen und die Songs überarbeitet – denn sie müssen auf natürliche Weise ihr Ende finden.“ Es ist ein ständiger Balanceakt zwischen den beiden Welten: fliessen lassen, und eine genaue Richtung geben. Der Vision auf der Spur bleiben und den Weg nicht verlieren, aber Ziele erkennen können und anhalten, wenn man davorsteht.

Natürlich wie Atmen. Künstlich wie Atemanhalten. Live wird das Format im I-Mac-Arrangement und mit Echtzeitinstrumenten verdichtet vorgeführt, die oftmals improvisierten Texte geben durch die nüchtern-raunende und von einer lakonischer Sehnsucht getragenen Stimme von Brooks dem Material eine abermalige Tiefe. „Ich benutze die Worte sehr oft ‚ad lib‘ und improvisere sie, als ob ich ein Instrument spiele. Texte können kommunizieren, oder sie können ambig sein. Bei uns können die Inhalte als eine Art Spiel verstanden werden, oft benutzen wir Sprache nur wegen ihrer phonetischen Qualität. Die Bedeutung gerät dabei ins Hintertreffen, man kann Spass mit den Wörtern haben, oder sich an den elaborierten Titeln erfreuen. Viele davon sind sehr reichhaltig an Bildern und setzen bestimmte Imaginationen frei.“ Aha, nicht umsonst kommt Mr. Brooks von der Kunstakademie, um mit Semantiken artistisch zu jonglieren, aber ganz so konsequent wie die gute Liz Fraser von den seeligen Cocteau Twins ist er dann doch nicht: keine phonetische Fantasiesprache, sondern reale Worte. „Worte in der Musik können am stärksten wirken, wenn man ihnen ein offenes Ende erhält. Wir wollen keine semantischen Vorgaben oder Restriktionen geben, sondern die Räume offenlassen.“ Diese Ambiguität ist also Teil des Songwriting von Appliance, aber sie soll nicht flach oder gar tot wirken, sondern reich – die Hörer mögen selbst entscheiden, ob dieser fromme Wunsch ein aufregender Freund sein kann. Mittlerweile kann die Band vom Musizieren existieren, der Vorschuss von Mute erlaubt dies. Appliance meinen es ernst mit ihrer Vision, schon früh gründeten sie ihr eigenes Label „Surveillance“, da sie keine Lust auf endloses Demo verschicken hatten. Sie trieben ihre Sache selbst voran, da sie auf keinen warten wollten. Diese Energie und ambitionierte Selbstbestimmung wurde tatsächlich belohnt: „Jemand von Mute kaufte eine Platte von uns in einem Londoner Laden, wie jeder, der Musik kauft und interessiert ist. Wir fühlten, dass das der richtige Weg ist – sie bekamen keine Free-Copies, sondern kamen als Musik-Fans.“ Das ist sicherlich der schönste Weg, wie eine Plattenfirma zu einer neuen Band finden kann – und ihren Künstlern wiederum den Weg zu anderen Hörern öffnen kann.

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