DIE EINZIGE, DIE MIR JEMALS ETWAS BEIBRINGEN KONNTE
Manche Sterne am R&B-Himmel sind mittlerweile wieder Schnuppen geworden, aber hier ist ein neuer Planet: Kelis, 20 Jahre jung, mitten aus Harlem / NY, und mit mehr als Gesangstalent versehen. Eine derart energievolle und zugleich elegant-entspannte Mixtur aus Rap, R&B und Soul hat es bislang noch nicht gegeben. Kelis hat Krallen, sie ist gefühlvoll und cool, und sie weiss mittlerweile genau, was sie will. Die Tracks ihres Albums „Kaleidoscope“ schmiegen sich an Tänzer und Liebende, dass es auf lange Sicht kein Entkommen gibt. Wer ist dieses Mädchen? „Man sagte mir, du bist in NY durch eine Hard School gegangen?“ „Nicht ganz“, lacht sie, „ich bin vor allem auf die Artschool gegangen und holte mir dort einen Abschluss als Schauspielerin. Aber glaub mir: ich ging durch eine Million Jobs, um in dieser Stadt zu überleben!“ Bevor sie mit 16 von zuhause auszog, sang Kelis sieben Jahre im Harlem Boys Choir. Das gab ihr Musikgefühl und vor allem ein exaktes Wissen um Gesangstechnik. Danach allerdings sang sie weniger, sondern hing ziemlich rum: „Ich hatte nicht wirklich Zeit und keinerlei Motivation. Mein Leben war ganz schön mondän. Aber irgendwann war ich so gelangweilt und unglücklich, dass ich die Dinge zum Passieren brachte. „Sie zog durch die Clubs, um Leute zu treffen. Ihre Gesangsfreundin Markita stellt sie Mai 1998 Pharrell Williams und Chad Hugo, dem legendären Producerteam „Neptunes“, vor, dass schon für den ausgereiften Sound von Blackstreet, Ma$e, Noreaga, SWV und Ol‘ Dirty Bastard verantwortlich war. „Ich habe wirklich nicht nach ihnen gesucht, aber es war Liebe auf den ersten Blick, und es passte 1A.“ Die präzis-visionären Produktionsskillz der „Neptunes“ und ihr futuristisch-geerdeter Sound waren der massgeschneiderte Rahmen für Kelis innovativen R&B-Stil. Auf „Caught Out There“ schlüpft sie überzeugend in die Rolle einer Verlassenen und wird am Ende des Songs so richtig böse – normalerweise ein Tabu im smarten R&B. „Das geht schon, nur hat’s vorher keiner ausser mir getan.“ Die Inhalte ihrer Songs sind halberlebt, halbgespielt, aber immer kongenial umgesetzt. Und bei allem Willen zur Unterhaltung hat Kelis ein klares Bewusstsein über die Welt: Musik kann die Welt nicht ändern, sagt sie bestimmt, aber Menschen können sich damit besser fühlen. „Und Menschen können Dinge ändern“. Mittlerweile kommt Kelis viel herum und sieht überall dieselben Probleme. Aber jegliches Predigen liegt ihr fern, schliesslich war schon ihr Vater ein Prediger, und der nicht immer einfache Umgang mit ihm lehrte ihr grundlegende Lektionen des Lebens. The only one who could ever teach me…kennst Du die Nummer? „Allerdings. Eine Menge unserer Väter sind Prediger, aber das macht uns vielleicht zu interessanteren Menschen.“ Solange es nicht so wie bei Marvin Gaye endet…alles Gute, Kelis!
(Rolling Stone)