Sofa Surfers

BEGEGNUNGEN MIT WISSEN UND BEWUSSTSEIN

Eines der besten zeitgenössischen alternativen HipHop-Alben kommt – aus Wien. Wer den Sound der Stadt immer noch – von diversen elektronischen Tonauswürfen abgesehen – vornehmlich mit gemütlich-dekorativ-relaxten Dope Beats in verrauchten Kaffeehauslounges verbindet, sollte sich vielleicht mal das neue Album der Sofa Surfers anhören, auf denen sich einige hochinteressante Gastvokalisten wie u.a. Sensational, Jeb Loy Nichols, Dälek and Devi, Junior Delgado und Mark Stewart die Klinke in die Hand geben. Zudem ist „Encounters“ (Begegnungen, auch: Gefechte) bei aller Wärme und Seelenkraft noch so kraftvoll wie dunkel und zuweilen sinister geraten, dass man sich sofort fragt, was für Energien denn hier zusammengekommen sind, und vor allem wie.

Der Name der vierköpfigen Band ist natürlich geeignet, dem Downbeatklischee sattes Futter zu geben. Doch der 1996 gegründete Vierer Wolfgang Frisch, Michael Holzgruber, Markus Kienzl und Wolfgang Schlögl, dessen Debut 12″ auch noch „Sofa Rockers“ betitelt war und durch einen Richard Dorfmeister-Remix veredelt wurde und mit „Transit“ ein ziemliches Downbeat-Ausschneidealbum als Debut vorlegte, geriet schon 1999 durch den Zweitling „Cargo“ an höchste Lobeshymnen und Respekt, und das nicht nur von Kritiker-, sondern eben auch von Musikerseite. „Cargo“ überraschte durch eine sehr eigene Verbindung von Elektro, Dub und Industrialelementen. Die Klangtexturen waren jedoch allesamt instrumental gewebt, so dass der nächste Schritt zu den Vocals nur folgerichtig war. Die hohe Anerkennung, die die Sofa Surfers mittlerweile in den entsprechenden Musikerkreisen genossen, machten die Vermittlung exponierter Gastvokalisten einfach – die meisten wurden einfach von einer Fan-Seite her angefragt, und tatsächlich war nur der Kontakt zur jamaikanischen Dub- und Reggaelegende Junior Delgado der einzige, der durch das Management der Surfers zustandekam. Produziert wurde dann in Wien. Wolfgang Schlögl: „Grundsätzlich muss man zum Konzept des Albums sagen, dass wir im Jänner 2000 begonnen hatten am Album zu arbeiten. Die Stossrichtung war, im Gegensatz zu „Cargo“, ein diametral geöffnetes Album zu produzieren. Wir sind ziemliche Controlfreaks, und so gesehen war es zu Anfangs auch ein wenig Selbst-Therapie zu versuchen, mit den Vorstellungen von anderen Leuten ausserhalb unseres Kollektivs zusammen zu stossen. Wenn du aber schon mal eineinhalb Jahre an einem Album gearbeitet hast, wirst Du vielleicht auch wissen, dass Konzepte sich mit der Zeit auch überleben, bzw. Stossrichtungen sich verschieben können. Gleichzeitig möchte ich betonen, dass „Sofa Surfers“ zwar durchaus nach Vorgaben arbeiten, jedoch im Arbeitsprozess eigentlich eher an der „Verbauchung“ als an der „Verkopfung“ des Konzepts interessiert sind.“ So erarbeiteten sich die „Surfers“ – Schlögl, Frisch und Kienzl produzieren den Sound, Holzgruber ist der Drummer – in diesem Rahmen eine Plattform, von der sich mit verschiedensten Stilrichtungen experimentieren liess, ohne die erarbeiteten Grundlagen der Band verlassen zu müssen. „Ich glaube, dass „Cargo“ retrospektiv sehr wichtig war, da wir damals versucht haben, dieses Klangvokabular vorzuformulieren und uns auch somit ein für alle mal vom Coffeeshop-Sound gelöst haben.“

November 2001, Wien, 6. Bezirk. In der Gumpendorfferstrasse befindet sich die Homebase der „Sofa Surfers“, Klein-Records. Das kleine, aber äusserst aktive Label – „Sincerely Yours“, die erste Labelcompilation ist soeben erschienen – veröffentlicht eine den AcidJazz-Wurzeln mittlerweile angenehm offen entwachsene Melange aus ExperimentalTripHopNuJazzScoreSoundTracks, und ist seit den jüngsten Tagen mit den „Surfers“ verbunden, die im Hinterraum auch ihr kleines, aber feines Studio haben. Zum Gespräch sitzen mir Wolfgang Frisch und Michael Holzgruber gegenüber, der derzeit verhinderte Wolfgang Schlögl, der inhaltlich und organisatorisch Wesentliches zu „Encounter beigetragen hat, antwortet später noch zusätzlich auf explizite Fragen per e-mail. Zum biografischen Komplex der Band ist zunächst einmal festzuhalten, dass sich die „Sofa Surfers“ seit 1991 aus einer relativ herkömmlichen Rockband mit elektronischen Einflüssen entwickelt haben, die irgendwann einen Schnitt mit Substanz und Präsentationsform dieses Genres gemacht hat und sich mehr auf die Elektronik und die darin potenziellen Wiederspiegelungen von Dub, Reggae, Soul und Jazz eingelassen hat. Diese Vergangenheit ist jedoch nicht unwichtig, da es hier, wie natürlich auch sonst bei Musik, um Transformationen geht. Bei allem Bewusstsein und Willen zum Konzept dürfen jedoch ganz profane Fakten nicht vergessen werden, so dass die damalige Probe- und Aufnahemsituation in einem Raum im 16. Bezirk, wo sich ein kreatives Cluster aller möglichen Aktivitäten gebildet hatte, „im Winter ohne Heizung“ einen nicht unwesentlichen Beitrag zum abgedunkelten Klang von „Cargo“ hatte. Das Grundkonzept für „Encounters“ sah nach dem Umzug nun vor allem vor, wesentlich wärmer zu werden und demzufolge verstärkt mit Vokalisten zu arbeiten. Doch wie man weiss, entwickelt sich Musik, auch wenn sie noch so sehr von Willen und Vorgaben geprägt ist, nicht nach einem Masterplan – bei den „Sofa Surfers“ halten sich diesbezüglich sehr konzentrierte und explizite „technical engeneering skills“ und ein gesundes Mass an Spontanität und Improvisationsfähigkeit die Waage. Das Bandgefüge ist hierbei immer noch relativ wichtig, wie Frisch bekräftigt – von den verschiedenen Seiten arbeitet sich die Gruppe an einen kollektiven Klang heran, der immer mehr ist als die Summe der einzelnen Teile. „Produzieren ist der eine Aspekt“, bekräftigt Holzgruber, „genauso wichtig aber ist das Livespielen.“ Schliesslich bewahrte und bewahrt dieser Bandkontext letztlich auch, ins gefällig-dekorative des Wien-Klischees abzugleiten.

Den grossen Schritt zu „Encounters“ sehen Frisch und Holzgruber jedoch nicht unbedingt als Abgrenzung gegen ein wie auch immer geartetes Paradigma, sondern als ein im Grunde logisch-konstantes Weiterentwickeln in der eigenen Nische. Trotzdem lässt sich in dem Album, auch ganz profan durch die verschiedenen Vokalisten, definitiv eine Bewegung zu einer internationalistischen Ausrichtung, entgegen einem wie auch immer „national“ definiertem Bandgefüge, erkennen. Ist dies nicht auch ein Statement gegen Grenzen und Begrenzungen, auch dagegen, zB. als typisch österreichischer Downbeat-Act abgefeiert zu werden oder sich womöglich karrieretüchtig darin zu profilieren? „Ja, da hast Du irgendwie recht“, antwortet Schlögl später per Mail, aber solche Entscheidungen würden innerhalb der Band oft nicht pragmatisch entschieden. „Es geschieht vielmehr aus dem ganz profanem Leben heraus, dass wir als Gruppe einfach nicht die Typen sind, die auf Schulter- und Sprücheklopferei stehen. Wir stehen natürlich auf unseren Standdort Wien, und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Wien eine der angenehmsten Städte zu leben ist. Trotzdem entstanden in den letzten Jahren einfach kleine Netzwerke, und „Encounters“ ist sicher Ausdruck dessen. Diese Netzwerke sind natürlich nicht von irgendeinem staatlichem Bewusstsein geleitet, sondern vielmehr über den künstlerischen Kontakt zwischen den Akteuren. Das Kaffeehausklischee hingegen betrifft uns schon seit mindestens zwei Jahren nicht mehr. Es ist für uns vielmehr ein amüsantes Indiz dafür, ob ein Journalist seine Hausaufgaben gemacht hat oder nicht.“ Das Presseinfo sagt hierzu: „Ein Schritt nach aussen, der Begegnungen und Konfrontationen willkommen heisst, und sich auch dem Widerstand und damit verbundenen Schwierigkeiten nicht verschliessen will“ – wie definiert Schlögl dann „Widerstand“, einen viel gebrauchten Begriff in der Alpenrepublik seit Schwarz/Blau, in musikalischer, und dann im weitesten Sinne, in politischer Sicht? „Musikalisch ist es zB. relativ häufig passiert, dass wir nicht das zurückbekommen haben, was wir erwartet haben. Da treffen natürlich manchmal verschiedene Vorstellungen aufeinander, und man muss sich an der Vorstellung der Beteiligten reiben. Natürlich noch stärker, wenn man so wie mit Mark Stewart gemeinsam im Studio steht. Da prallen dann halt auch starke Persönlichkeiten aufeinander, aber das liegt ja in der Natur der Sache und war ja auch irgendwie bewusst in Kauf genommen. Und politisch: also der Widerstand gegen Schwarz/Blau manifestiert sich eigentlich stärker in unseren Lebensweisen, wie wir leben, wohin wir gehen, was wir unterstützen, als im durchgehenden Konzept des Albums. Natürlich ist gerade dieses Album ein Zeugnis unserer Sicht der Dinge, wenn Du so willst unserer „Outernational Orientation“. Aber um ein wirklich explizites Protestalbum gegen Schwarz/Blau zu verwirklichen, fehlt uns eine wesentliche Begabung: Wir vier können alle keine guten Texte schreiben. Und es würde keinen Sinn machen, andere Leute zu bitten, uns Protesttexte auf den Leib zu schreiben. Hier kommen wir aber trotzdem an einen Punkt, der mich seit Antritt dieser Regierung immer mehr beschäftigt hat: Ist es nicht Zeit, dass elektronische Produzenten sich weg von mehr oder weniger abgelutschten Ästhetiken, die ja hauptsächlich systemerhaltend wirken (ich spreche hier die Tatsache an, dass die typischen Vertreter des sogenannten Wiener Sounds in Schuh- und Lifestylegeschäften gespielt werden, um das Kaufverhalten ihrer Kunden entsprechend zu stimulieren) sich wieder mehr mit Inhalten auseinandersetzen sollten? Zumindest geht es uns ums Bewusstmachen dieser Problematik. Ich glaube, wir als Gruppe sind noch nicht zu einer befriedigenden Antwort gekommen, aber wir sind immerhin schon am Weg.“

Solcherarten klären sich die Bewusstseinshintergründe der „Sofa Surfers“ auf gute Weise viel konkreter auf. Niemandem geht es um eine präventive politische Aufladung von Popmusiken, wie dies jahrelang fahrlässig betrieben wurde, und der Unsinn, der leider immer wieder viel zu unreflektiert über den Dauerbrenner „Pop und Politik“ zu lesen ist, hilft leider oft nur dabei, die als „dissident“ markierten Produkte besser zu verkaufen. Bei den „Sofa Surfers“ jedoch hört man allein schon im Material und der Herangehensweise Dinge, die auf einen bewussten Umgang mit Musik im gesellschaftlichen Raum und auch auf Musikgeschichte schliessen lassen, und eine Nachfrage bestätigt dies. Schlögl bringt diesen aufgeklärten Ansatz als Politikwissenschaftler und Unterstützer der ngo ATTAC ins Bandgefüge der „Surfers“ ein, wo er im offenen Umgang mit den anderen Bandmitgliedern seine Platz in der Gesamtpräsentation findet.

Gleichsam geht es hier vornehmlich um Musik, was denn sonst? Und deren Architektur wird durch die Spuren – mitunter vokale Graffitis – der Gastvokalisten entscheidend geprägt. Ex-Fellow-Travellers Jeb Loy Nichols öfnete den bandtypischen Sound hin zu einer weicheren, fast soulfulleren Herangehensweise, Junior Delgados legendäres Vibrato trägt zu einem Gospel-Reggae-Gefühl bei, Lil Desmond Levy bringt Raggavibes ein, die alternative HipHop MCs Sensational und Dälek/Devi kollaborierten aufgrund des sporadischen Kontakts zu Word Sound und schleudern ihre Wortblitze in die Tracks, die Reggae-Sängerin Dawna Lee – die einzige, die (authorisiert) gesampled wurde – hingegen giesst ihren Gesang wie Honig darüber, Precision’s MC Santana bringt verhaltene Drum&Bass-Vibes ein, und Mark Stewart kam über Jeb Loy, der öfter mit den On-U-Leuten abhängt, ins Spiel: „Das war natürlich auch ein Wahnsinn als Fan“, so Schlögl, „so gesehen haben wir uns mit „Encounters“ auch als Musikfans ein paar Wünsche erfüllt.“ Der Umgang der „Surfers“ mit verwandter Musik ist stets durch Respekt und tiefes gegenseitiges Verständnis geprägt. Das bezeugt auch das Verhältnis zum Jazz, ganz generell. Jazz Experten sind wir nicht, sagt die Band, aber natürlich kennen wir die Scheiben, die man halt so kennt. Und klar samplen wir auch von Jazzplatten, heisst es. Die Freiräume, Räume oder Raumkonstellationen auf Jazzplatten, so ergänzt Schlögl konkret, – sei es auf der ersten Tony Williams oder auf einigen ECM-Platten – waren für mich sehr inspirierend, ergo ist Jazz als Refernz unverzichtlich. „Darüberhinaus geht es uns darum, uns musikgeschichtliche Vorgänge bewusst zu machen, und von diesem Bewusstsein ist uns Jazz enorm wichtig, aber eben nicht wichtiger als andere Strömungen wie Dub oder HipHop.“ Seltsamer Wiederschein – gute Musik wirkt oft eben gerade dadurch gut, dass man Wissen, Bewusstsein und Geschichte hören kann.

Als Remixer betätigten sich die Sofa Surfers u.a. für Femi Kuti, Roy Ayers, Ennio Morricone, Cornershop, Faust, 12 Rounds, Pia Lund, The Lara Croft Theme, OH, Johann Strauss, Tosca, Toxic Lounge

Visuelle Projekte mit vidok.org:

Wirehead (Kurzfilm) 1993-96

The Plan (Musikvideo) 1997

Life in Malmoe (Musikvideo) 1998

Chambers (Live-Installation: Artists in Residence/Klangturm St. Pölten) 1997

Cargo (Musikvideotrilogie/Musikkurzfilm) 1999-2001

Conceptperformances:

Ars Electronica 1998

Diagonale Graz 1999

Lausanne 2000

Viper Basel 2000

www.kleinrecords.com

(Jazzthetik)

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