Gramofon – Labelportrait

DIALEKTIK IN DER WÜSTE

Von den Problemen und Chancen beim Aufbau eines unabhängigen Musiklabels in Bosnien-Herzegowina.

Kultur kann die beste und nachhaltigste Diplomatie sein. Während einige Länder es mitunter vorziehen, auf Andere Bomben und Raketen abzuwerfen, oder nach erfolgter militärischer Okupation die Zivilbevölkerung durch brutale Hausdurchsuchungen und eine generelle sozialkulturelle Ignoranz gegen sich aufzubringen, ist die Schweiz als erklärt neutrales und nicht zuletzt ökonomisch starkes Land immer noch in der glücklichen Situation, auf vorrangig friedlichem und diplomatischem Wege strukturelle Aufbauhilfe leisten zu können.

Die DEZA, die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit, dem Schweizer Außenministerium unterstellt, projektiert bereits seit Jahrzehnten Programme kultureller Unterstützung für Staaten, die einer oftmals schwierigen politischen Entwicklung unterliegen. Seit 1999 vertraute die DEZA der schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia ihr Mandat für die Entwicklung kultureller Aufbauprojekte im ehemaligen Ostblock an, seit 2002 schließlich wird in derzeit sieben Ländern das Schweizer Kulturprogramm Südosteuropa und Ukraine (SCP) unterhalten. Die Grundlage dieser Arbeit ist die Überzeugung, dass Kultur ein wesentlicher Faktor der Transformation eines Landes zu Demokratie und Zivilgesellschaft ist. Alle Projekte involvieren vor allem sehr stark die junge Generation.

Gerade in postkommunistischen Gesellschaften, in denen Kultur oft vor einem autoritärem und institutionalisiertem Hintergrund ablief und Aspekte von Differenz, Diversität und Multiethnie und – kultur wenig Spielraum hatten, gibt es diesbezüglich viel Nachholbedarf und Aufbauarbeit zu leisten. Dies bedeutet keineswegs, dass diese Aspekte in den westlichen Staaten in Vergangenheit und Gegenwart zufrieden stellend angegangen oder gar gelöst worden sind, und betrifft logischerweise auch die Schweiz selbst. Doch ist beispielsweise das in Nationalstaaten aufgelöste ehemalige Jugoslawien ein Gebiet, in dem sich diese Probleme innerhalb der noch keineswegs gefestigten neuen Gesellschaftsstrukturen häufig wie unter einem Brennglas finden lassen. Sarajevo, die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina, ist ein traditioneller multiethnisch-religiöser Schmelztiegel, in dem vom SCP seit 2003 ein besonderes Projekt unterstützt wird: der Aufbau eines Plattenlabels.

Das Label heißt Gramofon und ist aus dem Jazzfest Sarajevo entstanden. 1996, direkt nach dem Ende des Krieges, begann der Philosophiestudent Edin Zubcevic in einer wahren sozialen und kulturellen Verwüstung das Jazzfest zu organisieren, das Anfang November 2006 als Forum für vorrangig neue und improvisierte Musik sein 10jähriges Jubiläum feiern konnte. Der Impuls zu einem Label, das sich der zeitgenössischen Musikszene Bosniens annimmt, kam den MacherInnen direkt nach dem Krieg, doch fehlten logischerweise Geld, Infrastruktur und letztlich auch die Konsumenten. Zuvor war lange der aggressive machistisch-faschistische Jugo-Rock oder Turbofolk („eine sehr pornografische Musik, sehr gefährlich“, so Zubcevic), der maßgeblich die chauvinistische Stimmung im Land angeheizt hatte, eine prägende Musikströmung gewesen, aktuell ist hingegen der sattsam bekannte globale Pop-Mainstream omnipräsent. Gramofon hingegen ist heute das einzige Label, welches das zeitgenössische wie auch alternative Musikschaffen des Landes abbildet und dokumentiert – die Förderung dieser Aktivitäten war daher plausibel. Die Pro Helvetia, die von der DEZA wenig Vorgaben und Regulierungen für ihre Unterstützungsarbeit bekam und die neben den selbstverständlichen Rechenschaftsberichten allein aus dem Vertrauen in Kompetenz und Mitarbeiter agieren konnte, wählte für die professionelle Betreuung des Labels eine Gewährsperson, die JAZZTHETIK-LeserInnen bekannt sein dürfte: Patrik Landolt vom Zürcher Intakt-Label. Auch Intakt war einst, von Idealisten in schwierigen Zeiten gegründet, als Label aus einem Jazzfestival entstanden, nämlich dem immer noch in der Roten Fabrik beheimateten Taktlos. Landolt, der insgesamt sieben Mal in Sarajevo vor Ort war, konnte daher sehr direkt sein Wissen und seine Erfahrung betreffs Labelgründung und -aufbau weitergeben und beriet Gramofon auch in Sachen Logistik, Struktur und Medienpräsenz. Im Gegenzug wurden die jungen LabelbetreiberInnen Zubcevic, Dana Karavdic, Dragan Jakubovic und Alma Gojak ihrerseits in die Schweiz geladen, bekamen Workshops für Labelmanagement, Hilfe bei Visavermittlung oder besuchten Jazzfestivals wie in Zürich, Schaffhausen oder Mulhouse. „Ich konnte mein soziales Kapital und Netzwerk teilen“, so Landolt. „Das war viel mehr wert, als ständiger Ratgeber zu sein.“ Es war ein sehr praktischer und struktureller Zugang für die jungen Labelbetreiber, der nicht etwa durch theoretische oder konzeptionelle Vorgaben geprägt war. Das kulturelle Aufbauprojekt Gramofon lief, wie alle SCP-Projekte in dieser Region, insgesamt drei Jahre. Mitte September wurde zur Labelpräsentation geladen, und es war Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.

Sarajevo pulsiert. Auf der Ferhadija, Hauptgeschäftstrasse und Fußgängerzone, ist vor allem am Wochenende ein unglaubliches Schaulaufen, das jeder norditalienischen Großstadt zu Ehre gereichen würde. Geschäfte voller Markenprodukte, junges urbanes Publikum, elegante Cafes, Sportbars und exklusive Restaurants – die Stadt ist eindeutig von der lebenslustigen Sucht nach Normalität geprägt. Was ganz simpel bedeutet: ohne Angst. Ohne die groteske Absurdität des Krieges und ohne Erinnerung an die Wunden. Die sind nach 10 Jahren eh nicht wirklich verheilt, schon der Weg vom Flughafen erzählt deutlich davon. Im Zentrum aber brummt es. Die vollverschleierten Frauen, heißt es, werden von Mekka bezahlt, dafür müssen sie auch den ganzen Tag durch die von Touristen bevölkerte Altstadt laufen. Heute ist Beginn des Ramadan, aber man merkt es kaum. Die Atmosphäre erscheint tolerant und gelassen. Immerhin 80 % Muslime leben in der Stadt, in der die wohl teuerste (angeblich 45.000.000 €) Moschee außerhalb der islamischen Welt steht. Doch pittoreske Urbanität kann trügen: Sarajevos Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 40 % (Mostar 50 %), und es gibt eine hohe Armut, gerade auf dem Land. Von oben: die Kessellage, die Frontlinie, der Tunnel am Flughafen, die Friedhöfe an den Hängen. Überall noch Minengefahr. Man sagt, viele Sachen, auch im übertragenen Sinne, sind in Sarajevo noch halbe Ruinen, haben noch keine neue Seele, keinen Geist. Der Krieg ist kein Thema mehr, bekräftigt jeder, aber die jetzige Situation befriedigt auch nicht.

Emina Zecaj ist nahezu 80, stammt aus Sarajevo und mittlerweile eine lebende Ikone der bosnischen Musiktradition. Ihr nur von Mehmed Gribajcevic’ Saz begleiteter Gesang – sevdah genannt – ist sehr klar und pur. Live wirkt die stark von arabischen Skalen beeinflusste Melodik wie eine Art bosnischer Blues, sehr melancholisch, einfach, direkt und reduziert, doch bergen ihre Stücke, fast alles Liebeslieder, ungeahnte Tiefen und Komplexitäten. Das Konzert findet im Svrzina Kuca statt, einem ehemaligen alten Landhaus im ottomanischen Stil, das heute ein Museum ist und wie die Musik die klassische volkstümliche Tradition Bosniens repräsentiert. Derartige Vorführungen im intimen Rahmen fanden früher nur für Männer statt, doch diese Tradition beendete Zecaj irgendwann. Der renommierte Musikethnologe Cvjetko Rihman entdeckte Anfang der 60er ihr Charisma, doch in Jugoslawien nahm sie nie ein Album auf, obwohl mittlerweile über 600 Lieder ihres Stils zusammengetragen wurden. Für Gramofon eine Pflicht, dieses bosnische Erbe so lebendig wie möglich zu erhalten. Eine andere Sparte, die das Label abbildet, ist die kontemporäre klassische Musik: der erst 17jährige klassische Gitarrist Sanel Redzic aus Tuzla – der jüngste Gramofon-Künstler gibt in einem alten Bürgerhaus im Zentrum von Sarajevo ein Zeugnis seines beeindruckenden Könnens – gehört ebenso dazu wie das Ensemble Sonemus, das seit seiner Gründung 2001 die führende Gruppe für neue Musik in Bosnien ist. Ein Showcase im CDA-Club präsentiert dann den Gramofon-Sound der Neuzeit: das Duo Basheskia & Edward EQ performt mit zwei Laptops, Gitarre und DJ treibend-melodiös-hypnotischen HipHouse. Kraftwerk, Laibach und britische Elektronik sind hörbare Einflüsse, aber das martialisch-kantige fehlt, dafür bestimmt eine fließende smartness die sehr beatbetonte und soundscapebeeinflusste Klangfülle. Die Band Zoster aus Mostar empfiehlt sich hingegen mit ihrem reggaelastigem Off-Beat-Ska-Pop als Partyband. Die Bands, die deutlich auf internationalem Level spielen, erzeugen bei den Youngstern sehr gute Stimmung, bei dem jegliches geschmäcklerisches Stilgemäkel unter den Tisch fällt: derartige Abende sind in Sarajevo, wo es so gut wie keine Musik-Venues mehr gibt – das zerbombte ehemalige ‚Haus der Jugend’, in dem viele ihre jugendliche Musik-Sozialisation erfuhren, soll vielleicht nächstes Jahr endlich wieder geöffnet werden -, unendlich wichtig.

Am nächsten Tag findet in der Universität ein Panel mit geladenen ausländischen Journalisten und Medienvertretern aus dem ehemaligen Jugoslawien statt. Nach einer kurzen Einführung von Patrik Landolt und Elisa Fuchs von Pro Helvetia, die das Labelprojekt nun drei lange Jahre betreuten, ist vor allem der Umgang der Medien mit Gramofon Thema. In 90% aller Fälle, lässt sich heraushören, gibt es bei den bosnischen Medien keine Auswahlkriterien, kein Konzept und keine Programmpolitik. Das Publikum habe, so die Kritik, nicht die Möglichkeit, bestimmte musikalische Grundparameter aus z.B. Klassik oder Jazz kennen zu lernen. „Auch von daher leistet Gramofon wichtige Aufbauarbeit“, so Edin Zubcevic. „Die Situation vor dem Krieg war: es gab zwar weniger, aber es war paradoxerweise offener. Du konntest mit deinem 1. Auftritt ins TV kommen. Jetzt muss man vor allem alternative Promotionssysteme entwickeln. Es gibt derart viel Konkurrenz und keinen wirklichen Zugang zu den Medien.“ Hierzu sollte man sich den tatsächlichen ökonomischen Wildwuchs in der gegenwärtigen Balkanregion verdeutlichen. So gibt es in Bosnien z.B. unglaubliche 800 bis 1000 Radiostationen, fast alle privat, denn die Lizenzvergabe ist einfach, doch die Programme sind in der Regel populistisch, propagandistisch oder hyperkommerziell. Wird im europäischen Westen der Markt wenigstens prinzipiell als kontrollierbar angesehen, in dieser Region ist er definitiv wild. Verschärft wird diese Problematik für die Labelarbeit durch die illegalen Raubkopien: neben dem Internet – „die junge Generation kauft GAR nicht“, so Zubcevic, „erst seit diesem Jahr geht es langsam zurück“ – sind es bereits fertige Kopien, die in Sarajevos ‚Copy-Alley’ oder gar in Läden halblegal verkauft werden. „Früher waren es 20 außerhalb der Stadt, wo man wirklich ALLES finden konnte“. Es gibt, anders als in Kroatien und Serbien, kein wirkliches Regelwerk, das staatlicherseits durchgesetzt wird. Logisch, ein finished product für den Preis von ca. 9 Euro ist für den normalen bosnischen Konsumenten ein Luxusgut. So fand Patrik Landolt das Album von Emina Zecaj bereits wenige Tage nach Veröffentlichung als Kopie auf dem Schwarzmarkt.

Edin Zubcevic ist ein international denkender Mensch, doch gut geerdet in seiner Heimatstadt. Der sehenswerte Film A Propos de Sarajevo von Haris Pasovic über die Geschichte des Jazzfestivals, die erste Gramofon-DVD, zeigt ihn immer wieder, wie er im Auto durch die Strassen fährt und einfach erzählt. Nach und nach entwickelt sich so ein sehr guter Hintergrund, um die besondere Situation, die Widersprüche und Schwierigkeiten, aber auch die unglaublichen kreativen und intensiven Impulse dieser Stadt verstehen zu können. Im Gespräch dann ist der Denker des Labels angesichts der Gesamtsituation sehr realistisch. Um die Labelarbeit überhaupt tragfähig zu machen, kam sehr früh das Konzept einer Konzertagentur auf. Im Verbund mit einer regen Konzerttätigkeit hofft man so, den nötigen Unterbau für die regelmäßigen Neuerscheinungen erwirtschaften zu können. „Es war früh klar, dass wir von der Labelarbeit nie leben konnten. Patrik brachte die Dinge auf ein mögliches wie auch realistisches Level.“ Erst gestern war die offizielle Abschlussbilanz: das Gramofon-Budget für drei Jahre belief sich ab 2003 auf 163.000 €. Im Jahr 2005 wurden ca. 2000 CDs verkauft und insgesamt 16.500 € eingenommen, im ersten Halbjahr 2006 waren es jedoch bereits 15.000 € Reingewinn. Aktuell beschlossen wurde eine zusätzliche Anschubfinanzierung für das vierte Jahr von 37500 €, was für die Produktion von sechs neuen CDs reichen sollte. Das letztliche Ziel, so Zubcevic, ist 50 % vom CD-Label und 50 % von der Agentur zu erwirtschaften. Die Labelarbeit jedoch, da sind sich alle sicher, wird nie voll rentabel sein. Patrik Landolt braucht beispielsweise zwischen 45- bis 75.000 € Gewinn pro Jahr, um Intakt am laufen zu halten, es ist ein Mix aus Verkauf und Unterstützung, der sich auch durch Stiftungen und Zuschüsse ergibt. Der Unterschied aber: Landolt hat einen Backkatalog von 120 Alben und 20 Jahre Erfahrung in Labelarbeit. „Genau dies muss auch Gramofon organisieren“, ist er sich sicher. „Dass weiterhin Unterstützung da sein muss, ist klar. Aber sie können nicht erwarten, dass die Schweiz die ganze Zeit weiterzahlt. Vielleicht finden sie einen Partner, z.B. in Kanada, oder der Diaspora.“ Der internationale Vertrieb ist bei der Labelarbeit logisch ein wichtiger Schritt, doch es ist extrem schwer, dort hineinzukommen. Vertriebsleiter Dragan Jakubovic hat es probiert, aber es war relativ ernüchternd, denn Gramofon wurde regelmäßig durchgewunken: zu wenig Backkatalog. Also weiter mit Geduld auf langsames Wachstum setzen: im ersten Jahr gab es in Bosnien drei Verkaufstellen, mittlerweile sind es 12 – und das ist sehr gut für eine derart schwierige Infrastruktur. Zubcevic macht sich trotzdem keine Illusionen: „Die Konzertagentur bringt 70% unseres Einkommens. Wenn wir nur sie machen würden, könnten wir ohne Probleme überleben. Trotzdem haben wir nach den drei Jahren Unterstützung schon einige schmale, aber feste Beine, z.B. eine komplette Backline und ein Masteringstudio, das wir auch vermieten können, und sind ziemlich unabhängig. Insgesamt sehe ich sehe die Zukunft Gramofons optimistischer als für das Land selbst – wir sind viel besser organisiert und nicht so chaotisch.“

Der vielleicht größte Nachteil von Gramofon ist jedoch seine Stilvielfalt, die es bislang etwas erschwert, Identität und Profil des Labels für Außenstehende besser zu schärfen. Zwar geschieht auf Gramofon wirklich bemerkenswertes, aber es muss kommuniziert werden. Das Dubioza Kolektiv z.B. ist der mittlerweile zu Recht erfolgreichste Gramofon-Act. Der sehr eigenständige Stil des Sextetts aus HipHop, Dub und bosnischen Ethno-Grooves erbrachte mittlerweile erfolgreiche Aufmerksamkeit und zahlreiche Festivalauftritte im Ausland und allein 600 bei Konzerten verkaufte CDs. Die Jazzfans hingegen begeistern sich für Bands wie Minority oder das Underground-Album des international renommierten Drummers Dejan Terzic. Alles wunderbare Musik, aber etwas schwierig, insgesamt einen roten Faden zu finden, wie auch Zubcevic einsieht. „Auf der anderen Seite füllen wir hier eine wichtige Lücke. Die Hoffnung ist, dass in wenigen Jahren die einzelnen Sparten einen internationalen Vertrieb finden können. Wenn wir lange genug überleben.“ Inwiefern ist das Labelprogramm repräsentativ für Bosnien und Herzegowina? „Es gibt schon einige andere coole Sachen, aber einige Künstler gehen auch nach Kroatien, weil sie dort mehr Medienaufmerksamkeit bekommen. Es gibt dort viel mehr Wettbewerb. Wir wollen aber nicht, dass sich Leute so verkaufen. Wir sind das einzige Label mit Exklusivrechten hier, wollen sie aufbauen, uns regional profilieren und dann klar über die nationalen Grenzen hinausgehen. Die momentanen Vorteile für uns sind: es gibt keine Majors, kein nichts, und Gramofon ist komplett verschieden von allem. Kulturell passiert auch nicht zu viel hier, es ist eine klare und relativ durchschaubare Situation. Im Grunde ist die Situation immer noch Wilder Westen, oder besser: Wüste. Es gibt nichts anderes, wir sind das größte Independent Label hier. Es gibt kein wirkliches System in diesem Land, aber das kann auch ein Vorteil sein. Es geht um Dialektik – alles, was negativ ist, kann sich auch als positiv herausstellen. Gramofon hat da eine klare optimistische Grundhaltung: nicht die anderen verantwortlich machen, sondern es selbst anpacken.“

Gramofon ist ein Label im Widerspruch zwischen authentischem Background und Potenzial und einer noch deutlichen Abhängigkeit an Unterstützung von Außen. Hier muss man sich definitiv lösen und eigenständig werden, und um diese finanzielle Hilfe zur kulturpolitischen Selbsthilfe geht es letztlich. Toni Linder von der DEZA betont, dass die Schweiz wirklich das einzige Land ist, dass derart ambitionierte und komplexe Projekte fördert, also nicht nur die nationalen Darlings in ferne Länder zu schicken, sondern die jeweilige regional-lokale Landeskultur der unterstützten Länder nachhaltig und ohne Vorgaben zu fördern. Aber es ist natürlich trotzdem ziemlich prekär, wenn nicht wenige Programme – wie z.B. auch das geförderte autonome Jugendzentrum Abrasevic in Mostar, ein unglaublich ambitioniertes und spannendes Projekt – regelrecht am finanziellen Tropf hängen, und die Flasche irgendwann leer ist. Wie unabhängig lässt es sich dann noch weiterleben? Die DEZA ist hier keineswegs blauäugig. Sie relativiert jedoch die Kriterien für den ‚Erfolg’ ihrer Projekte in einem Sinne, dass letztlich mehr Wert auf soziale Entwicklung und kulturellen Wandel gelegt wird als auf künstlerische Qualität. Dass das Gramofon-Label innerhalb dieses Prozesses eine derart gute Figur macht und das aus einer in Westeuropa sonst eher marginalisierten Region eine derart qualitativ hochwertige, originelle und eigenständige Musik editiert wird, zeugt von der Richtigkeit dieses Weges.

Weblinks:

www.gramofon.ba

www.jazzfest.ba

www.deza.admin.ch

Und noch:

Miroslaw Prstojevic: Sarajevo – Die verwundete Stadt

(Jazzthetik)

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