Eine Ausstellung zu 25 Jahren Videokultur in Düsseldorf.
Das Alte als Neue
Werbung, Maschinen, Softwareprogramme…die Liste ist lang von dem, was uns in den letzten Jahrzehnten unter der Logik der Indifferenz, also der Gleichgültig und -wertigkeit, aller Waren in den kapitalistischen Verhältnissen nicht nur als Kultur sondern als Kunst vorgeführt und angepriesen wurde. Damit einher ging sowohl eine enorme Verunsicherung als auch eine zynische Häme angesichts der seit Jahrzehnten immer heftiger bröckelnden Werthaftigkeiten des einstmals vorherrschenden traditionellen bürgerlichen Kunstbegriffes. Allein, es ist noch nichts wirklich radikal Neues angekommen, was den schlimmen Bastarden der bourgeoisen E-Kultur im 21. Jahrhundert radikal Paroli bieten könnte – die oftmals auf nationalvölkischen Wurzeln beruhende Traditionslinie, der manche sich als radikal, gleich in welcher Richtung, verstehende Kultursuchende und – schaffende so gerne nachschnüffeln, kann es jedenfalls nicht sein, was wir angesichts eines transnational agierenden Verbundkapitalismus, in den wir jeden Tag selber involviert sind, brauchen. Was aber dann?
Wenn noch nichts Neues da ist, wird gerne das Alte genommen, das, gut als Neues getarnt, als ebendieses propagiert und verkauft wird. Genauso gerne wird die Popkultur als Ablöseparadigma zur bürgerlichen E-Kultur verstanden: die kulturell ehemals verfemte U-Kultur will ihre Gleichberechtigung und transformiert sich mittels all der Strukturmerkmale, die ein herrschendes kulturelles Feld ausmacht: institutionalisierte Spielorte, SpezialistInnen, Kanonbildung, Akzeptanz und Behandlung durch den akademischen Lehrbetrieb und schließlich Verbindungen zur herrschenden Staatspolitik, um sich als Durchsetzungsparadigma besser verfestigen zu können. Neben dem ist Pop vor allem für Intellektuelle ein beliebtes Mittel zum Distinktionsgewinn, zur Abgrenzung und Neuprofilierung geworden und wird auch als solches verstanden und gepflegt: nicht der vulgäre Massenpop ist hierbei von Interesse, sondern der elitäre Geschmackspop, mit dem man sich eigenen Stil und kennerhaftes Charisma herbei fantasiert und schließlich -konstruiert.
Kultur und Wirtschaft
Im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft Düsseldorf sind unter blau gedämpftem Licht derzeit 100 Videos mit einer Gesamtspieldauer von 8 ½ Stunden aus einer Videokultur ab dem Zeitraum 1980 ausgestellt. In den zwei Flügelräumen sind 100 Monitore mit je einem Kopfhörer angeordnet, vor denen man stehend die Beiträge aus den Bereichen „Kunst“, „Werbung“ und „Popmusik“ sehen und hören kann. Kuratiert wurde die Ausstellung von Ulf Poschardt, bekannt durch seine Schriften zu den Themen „DJ-Culture“, dem Begriff „Cool“ oder „Über Sportwagen“ und als Creative Director der WELT am SONNTAG. Als Co-Kurator firmierte der Musiksender MTV, der 1981 mit den ersten Popmusikvideos auf Sendung ging (Bezeichnenderweise mit „Video killed the Radio Star“ der Buggles). Es überrascht nicht, dass dieser Ausstellung in einem Spielort, der die Schnittstelle von Kultur und Wirtschaft impliziert, naturgemäß jegliches auch nur ansatzweise vorhandenes kritische Potenzial fehlt. Werbung, Musik und Kunst zusammenzustellen sei eine „positive Provokation“, so Frau Brusis vom NRW-Forum. Eine kritische Auseinandersetzung muss man hier folgerichtig mit der Speziallupe suchen, denn das Darstellungsziel der Kuratoren bei dieser Videoausstellung ist vielmehr die „reine“ Ästhetik, der jeglicher konkreter politischer Kontext ab-abstrahiert wurde. Wo ein politischer Kontext auftaucht, dient er, wie überall in der Struktur der Popkultur, ausschließlich einem punktuellem ästhetischem Interesse, ist ergo ein funktionelles Versatzstück in einer Maschine, die Indifferenz produziert. Politik und „social issues“ sind in der Popkultur, wie überall in der Kultur- und Subkulturindustrie, feste Münzwerte, mit denen man rechnen kann, und die zunächst einmal prinzipiell kritisch hinterfragt werden sollten.
Bisschen Philosophie noch
Die saubere Trennung der Videos in drei Teilbereiche hat etwas dialektisches, bei Hegel-Fan-Poschardt nicht verwunderbar: Kunst und Werbung finden eine Apotheose im Popvideo. Allerdings ist diese Dialektik vielmehr Perpetuum Mobile eines interaktiv-indifferenten Strukturdreieckes: alle drei Teilbereiche beziehen sich aufeinander, kommunizieren miteinander, befruchten sich, mutieren und verwachsen miteinander, kommen aber niemals über die durch eine grundsätzlich strukturelle Pop-Ästhetik abgesteckte Begrenzung hinaus. Der Effekt ist, dass mit zunehmender Videofizierung der medialen Welt, das geben die Kuratoren gerne zu (aber natürlich auch durch von vorneherein nicht intendierte radikale Strukturkritik, das jedoch ignorieren die Kuratoren logisch komplett) eine Unterscheidung zwischen Kunst, Werbung und Pop nicht mehr möglich, nötig und erwünscht ist. Weil diese Vermischung zunehmend unauflösbar ist, wird eine kritische Analyse erschwert und letztlich als irrelevant abgetan. Es lässt sich angesichts der neuen Kulturamalgame schwerer eine kontextualisierte Herkunft oder eine Zielrichtung der beworbenen Produkte ausmachen oder definieren. Bezogen auf die Düsseldorfer Videoausstellung ist kennzeichnend, dass ihr Subtext letztlich noch nicht einmal eine Strukturanalyse, sondern tatsächlich eine tautologische Strukturphänomenologie darstellt.
Jetzt aber: Creme de la Creme
Der wichtigste Punkt dieser Ausstellung ist jedoch vor allem die Aufbereitung und Rezeption: Pop und Popkultur erscheint auch hier als eine zeitgemäße Transformation bürgerlicher E-Kultur. Was früher Raffael oder Michelangelo waren, sind heute Regisseure wie Cunningham oder Jonze. Immer wieder wird der „Werkcharakter“ oder die „Werkschau“ betont – das Wort „Werk“ resp. „Meisterwerk“, das auch in den Medien der Subkulturindustrie gerne unreflektiert Verbreitung findet, deutet auf den extrem bürgerlichen Hang zur Ver-Genie-Kultung des ausgestellten Materials hin. Anstatt den Medien eine explizit nüchterne und sachliche Einbettung in Fakten zu bereiten, die das Fundament für eine kritische Auseinandersetzung mit Videokultur sein könnte, wird ein neuer auratischer Raum geschaffen, der sich indes aufgeklärt gibt. Tatsache ist: die Ausstellung führt die „Creme de la Creme“ der Videokultur vor. Sie erzählt die Mär vom guten, wahren und schönen Video, wo doch gerade das kommerzielle TV, und besonders das Musik-TV, das entschiedene Gegenteil darstellt: es sendet in der Regel kommerziellen Trash. Wo sollten also die Pop-Meisterwerke gezeigt werden? Richtig, im Museum. Dabei wäre es viel aufschlussreicher und interessanter, eben im Museum den ausgesuchten und pointiert aufbereiteten kommerziellen Trash auszustellen, um eine gutgelaunte und radikale Rezeptionsanalyse zu ermöglichen. Denn die MTVIVA-Kultur als ignorierungswürdigen Trash abzutun ist zu einfach. Die dortige „Videokultur“ hingegen sollte in einen analytischen Rahmen hineingezogen, kontextualisiert und kommentiert werden. Nicht unbedingt in einem ödem, wissenschaftlichen cultural-studies Sinne, sondern in einem radikal aufgeklärtem Sinne von kritischem Entertainment. Das ist nicht zynisch, sondern realistisch, denn mehr ist wahrscheinlich hinsichtlich der Rezeptions-Verseuchung durch den aktuellen Popkultur-State-of-the-art eh nicht drin.
Re-Entry des Sinns
MTV-Mitkurator Sabel erklärte die Rolle MTVs in der Clipverbreitung und –ästhetisierung als „revolutionär“. Auf Anfrage aus dem Auditorium, warum MTV denn so wenig der so gepriesenen kulturell wertvollen KunstWerbePopVideos zeige, gab Sabel dann einen herrlich krachenden Evergreen-Bonmot zum besten: „Der Zuschauer will es so!“, räumte aber auf Nachfrage ein, dass es bei MTV natürlich um kommerzielle Interessen und Deals mit den Labels gehe – im Klartext: man kann die Sendezeit eben kaufen. Poschardt betonte indes, dass die Ausstellung keine definitorische sei. Es gehe eben um die „100 einflussreichsten“ Videos, nicht die meistgesendetsten, schließlich könne man ja seine eigenen Favorites aufstellen, und ja natürlich, einige Ästhetiken fehlen bestimmt. Allerdings, aber nicht nur das. Vielmehr fehlt, wie häufig auf zeitgenössischen Museumsausstellungen, eine schlüssige Kontextualisierung. Diese soll natürlich wie immer der Katalog leisten, mit Beiträgen von u.a. Papa Diederichsen und Opa Theweleit. Man betreibe mit dieser Ausstellung eine „Solidarität mit dem Video im Zeichen seines Sturzes“, so Poschardt, verwies auf das Videothekensterben und behauptete, das Medium an sich habe seine besten Tage schon hinter sich. Doch in der Öffentlichkeit gebe es immer noch Aversionen gegen die angeblich billige Clip-Ästhetik, dabei habe das Medium doch ein eigenes Pathos und eine mythologische Ernsthaftigkeit hervorgebracht, die der apostrophierten Leichtigkeit seiner Themen entgegenstehen würde. Daher gehe es in dieser Ausstellung „nach unser aller Lieblingsphilosoph Luhmann“ um ein Re-Entry von Sinn und Ernsthaftigkeit, aber dekonstruiert im Zeichen postmoderner Indifferenz.
Das gute Gewissen des Popvideo
Das kann natürlich nur durch sinn- und ernsthafte Vortänzer geschehen, und davon hat die Ausstellung ja massenhaft anzubieten. Hier gibt’s eben keine bösen gecasteten Plastik-Superstars zu sehen, sondern eine erlesene Auslese repräsentativ hochqualitativer Videokultur angesichts einer ansonsten in realiter nämlich komplett schlechten, billigen und auf schnellen Konsum ausgerichteten Seh-und Hör-Kultur. Das wollen ja auch nur die Massen sehn, diese 100 Videos aber, mein lieber Scholli, die lassen sich doch locker als immerwährende Grußbotschaft auf den Mars schießen. Die Konzeption der Ausstellung bzw. die Auswahl der Videos krankt an der Auswahl von „guten“, vorzeigbaren, avantgardistischen Feigenblättervideos, da man den Cultural-Studies-Interessierten den normalen vorherrschenden aktuellen Trashmix aus Kunst, Werbung und Pop eben nicht zumuten will. Um aber eine Popkultur angemessen zu beschreiben, sollte gerade das populäre und quantitativ vorhandene ausgestellt und kritisch kuratiert werden. Anstatt Vorzeigekunst aus den MTV-Archiven herauszuwählen, sollten die erfolgreichsten bzw. meistgespieltesten oder programmrepräsentativsten (und nicht „ästhetisch einflussreichsten“) Videos ausgewählt werden, dann würde sichtbar, welche Bilder, Handlungen und welches Bewusstsein aktuell und durch die Zeit durch das Medium Video transportiert wird. Stattdessen ein typisch bildungsbürgerlicher Video-“Kanon“. Es geht um Protagonisten und deren Namen, deren Arbeit – wie eben von Cunningham oder Jonze – kaum mehr hinterfragt werden. Sie sind das gute Gewissen des Popvideo, die „Guten“, an denen man sich festhalten kann – inmitten der trashigen Bilderflut einer schnellen auf Produktaustauschbarkeit beruhender Popkultur. Sie sind Namen und Identitäten, Autorenproduzenten zur Intellektuellenberuhigung, mit denen sich das alte und komplett verlogene Spielchen vom bösen Major-Kommerz und dem guten Indiependent-Underground weiterspielen lässt.
Das Museum bietet eine ermäßigte Drei-Tages-Karte an, damit man auch schön alle 8 ½ Stunden sehen kann. Man braucht aber keine drei Besichtigungen, denn das GuckHören macht irgendwann natürlich keinen Spaß mehr. Man fühlt sich wie Werbeschlachtvieh oder ein Guinea-Pig für den Art-Directors-Club, vor allem, und jetzt sag ich was, da man das meiste ja eh kennt! Logisch gibt es hier witzige und äußerst unterhaltsame Videos, gerade im Werbebereich natürlich…und es gibt mitunter gute Effekte: zB. wenn man vor Cunninghams – der auch nur ein öder Werbe-Bunke ist, man merkt das sehr schnell – ödem Hi-Tech-Pathos-Video zu Björks „All is full of Love“ steht, abgenervt vom Quäk-Gesang der isländischen Elfen-Diva ist, den Kopf hebt und direkt dahinter einen Monitor weiter das witzige und rasante Gorillaz-Comic-Video von Hewlett/Candeland sehen kann…das sind mal schöne Synergie und Mix-Effekte, aber dafür gleich 100 Monitore aufstellen?