WIR SIND WIE DIE KAKERLAKEN!
Es ist nicht einfach mit Word Sound. Das immer noch in Brooklyn / New York beheimatete Label, das seit 1996 existiert und seitdem 36 fast durchweg bemerkenswerte und mitunter äusserst brilliante Alben herausgebracht hat, profilierte sich über die Jahre durch einen sehr eigenständigen Stil, der sich sowohl durch eine abgedunkelte und stetig perfektioniertere Vision eigener „iller“ Downbeats – Word Sounds ureigener Version von HipHop –, als auch durch die beständige und scharfe Abgrenzung zum normativen Rap-Businesskontext konturierte. Der aktuelle Zustand ist derzeit auf der dritten Labelcompilation „Subterranean Hitz“ nachprüfbar. Als ich Labelbetreiber Skiz Fernando das 1997 erste mal per Telefon interviewte, gab es noch regelmässige „Word Sound-Communiques“, das waren kleine theoretische Zettelchen, die, im Tonfall denen von Alec Empires Label „Digital Hardcore“ ähnlich, von einer Guerillataktik des Labels gegen „the beast“, also Major-, Medien- und Fashionsuckerzusammenhänge aller Art, wetterten, einen Zusammenhang aufgeklärt-spiritueller und „originaler“ Existenzen priesen, ohne dabei jedoch in irgendeiner Form explizit zu werden, also die Zusammenhänge weitergehend zu erläutern und die Oberfläche ihrer Rethorik zu durchstossen. Das mag nun auch wirklich nicht Aufgabe eines Musiklabels sein, wenn es sich jedoch schon auf das Terrain „politischer Dissidenz“ begibt, ist kritisches Hinterfragen – bei aller generellen Sympathie und dem strikten Unten sein mit den Labelidealen und vor allem den Labelbetreibern – unumgänglich. Das zweite Mal besuchte ich Skiz im Sommer 98 in Williamsburg / Brooklyn, dem alten Word Sound Compound, von dem er immer noch alleine das Label betreibt, und bereits da begann er die schleichende Gentrifizierung in seinem Bezirk zu spüren. „Ich war einer der ersten Künstler, die hier hinzogen, es gab vielleicht ein Restaurant in der Umgebung der 11. Strasse.“ Dann wurde Williburg stetig schicker, nach den sozial schwachen Künstlern kamen die Reicheren, die gehobeneren Mittelständler – die Miete wurde verdoppelt, und aus wars. Nun habe ich Skiz wieder in der Leitung. Die Gentrifizierung des Bezirkes, also die „Aufwertung“ eines sozial schwachen Areals durch wohlhabendere interessierte Mieter –
Manhattan wird schnell eng – hat ihn mittlerweile nach Quinton Hill getrieben, zwar eine „nice neighborhood“, aber direkt angrenzend an den grössten schwarzen Ghettobezirk New Yorks mit chronisch schlechtem Ruf, Bedford Stuyvesant. In zwei Wochen muss Skiz erneut die Bude räumen, „die Yuppies schmeissen mich wieder raus, und ich habe noch nichts neues. Ich meine, ich muss nicht mehr ums Überleben kämpfen, aber ich frage mich, was mit den Leuten passiert, die das wirklich tun!“ Die Dislokierung der schwarzen und hispanischen Bevölkerung hat den Zuzug von fast ausschliesslich Weissen zur Folge, und das erweckt Ressentiments. Ach so, ihr wollt auch noch was über Musik wissen? Gut, ein paar Namen. Neue Gesichter: Bimos ist ein Protege von Prince Paul, Produzent der ersten Metabolicsscheibe und von Mr. Deads Soloalbum, ein Beatmaster aus Long Island, M. Sayyid kommt vom Anti-Pop-Consortium, ebenso ein MPC-Meister und aussergewöhnlicher MC mit suberben Lyrix, und Mr. Law ist ein Verrückter aus Georgia, der auch äusserst durchgedrehte Grafik macht. „Er kam zu mir mitten im Hochsommer mit dem Bus aus Georgia, im Bärenfellkostüm. All the way.“ Verstehe. Mentol Nomad ist eine Entdeckung von Skiz, ein junger Puertoricaner aus Brooklyns HipHop-Szene, Outer Space sind zwei Puertoricaner aus dem Prince Paul-Kontext, Unipod dagegen ein Lehrer, der die „original vibes“ von HipHop und Grafiti in die Grundschule bringt. Alte Bekannte: Ish, Scotty Hard, die Skiz-Buddies Mr. Dead und Sensational und der Meister selbst, wie üblich superdunkel als Spectre unterwegs. „Von jeder Platte verkaufen wir durchschnittlich 5000“, so Skiz, „das ist nichts, aber es gibt eine Latte von Leuten, die uns treu unterstützen, gerade in Europa.“ In NY selbst ist man zwar nicht unsichtbar, ein Showcase im von John Zorn kuratierten „Tonics“ steht gerade bevor, aber: das ist Luxus, so Skiz, die Labelarbeit ist viel intensiver, vor allem in einem Land, „wo die Herdenmentalität übergross ist und die Kids die Popmusik mit Löffeln gefüttert bekommen.“ Harte Zeiten auch für die Word Sound Posse, aber „The Ill Saint“ ist zuversichtlich: „Du kannst diese Stadt nicht kontrollieren – sie ist Natur, gemacht von Menschen. Und wir sind wie die Kakerlaken – die überleben auch immer.“
(Intro)