DAS DUNKLE AUGE DER KAMERA GIBT … EIN ANDERES LICHT
Riz Maslen sitzt im Backstage der Kantine in Köln & ist die personifizierte Mischung aus Aufgewecktheit & Erschöpfung. Gleich wird sie mit einem DJ-Set den Opener für die Ninja Tunes-Herbst Tour machen, bis dahin stehlen wir ihr die knappe Zeit der Rekreation mit einem Interview. Letzter Tag der Tour heute, DJ Vadim pennt noch wie ein Stein im Bus, die 8-köpfige Herbaliser Band amüsiert sich darüber & füllt den Backstage randvoll mit Faxen. Strictly Kev bewundert das Vadim-Foto unserer letzten Ausgabe und Ollie kümmert sich rührend um die Herbals. Wie bist du zu diesem Haufen gekommen, Riz? „Ich stand immer auf ihrer Show auf Kiss FM, & als ich vor 2,3 Jahren nach London zog erkannte ich erst, dass sie ein Label haben. Ich schickte ihnen von Zeit zu Zeit ein paar Tapes & schließlich haben sie ein paar Sachen herausgepickt.“ Waren sie die erste Adresse? „Nein, ich hab’s auch an R&S geschickt, & 97 kommt dort ein Album von mir raus: Small fish with spine.“ Riz‘ Stil ist im Ninja-Pool aus close to the bone reduzierten HipHop Beats, freestyle-mix-files & retrogardistisch anmutendem live Funkjazz eindeutig der elektronisch-atmosphärische Gegenpol: ambientös-darke Tracks, verdubbt & zugebeatet, meistens in Bewegung, auch im vermeintlichem Stillstand. Riz ist ein camera eye – sie registriert & verarbeitet sehr viel optische Eindrücke, der Sampler zieht selektierte Laute der Außenwelt in die Tracks, die Hände an den Maschinen formen die Äußerungen der Innenwelt. „Ich hab’s nicht sehr mit vorkonstruierten Ideen, ich bin sehr spontan. I tend not to think about what I’m doing.“ Allerdings kann sie ihre Bedroom-Producer-Arbeitsweise & wie sie bei der Konstruktion der Tracks vorgeht ziemlich genau erklären. „Es gab Zeiten, da hab ich mich hingesetzt & gedacht: Ich mache jetzt das & das … aber ich finde mittlerweile, ich arbeite viel besser, ohne darüber nachzudenken. & ich gebe einem Track in der Regel 3 Tage – jede Bewegung von dort aus langweilt mich. Wenn ich diese Langeweile spüre, weiß ich: It’s time to move on.“ Dunkelheit ist für sie nur ein Teil ihrer Persönlichkeit, so sehr wie sie Melodien mag, braucht es einen Gegenpol. Diese andere Seite holt sie aus sich heraus, wenn sie in der Regel alleine ihre Tracks macht. Und wie sie sagt, dass sie in Wahrheit zwei Persönlichkeiten habe (Dies sollte für rhizomatische Kanalarbeiter aber auch das mindeste sein), will sie auch in ihrer Musik so eklektisch wie möglich sein & nicht immer gleich klingen. „Es ist gut, ein bisschen von allem in der Musik zu haben, denn manchmal kann sie zu ernsthaft sein. Es geht dann weit über die Köpfe der Leute & sie können es nicht mehr richtig verstehen. So musst du Dinge in deiner Musik haben, auf die sich Leute beziehen können.“ Im Vergleich zu z.B.. Vadims recht programmatischen Titeln klingen Deine auch ziemlich alltäglich. „Allerdings, very throw-away. Ich habe immer ein kleines Notizbuch dabei & schreibe mit, was Leute sagen. & in ‚It’s your turn to wash up‘ geht’s tatsächlich nur um die alltägliche Tatsache, dass jemand den Abwasch machen muss.“ Für eine Mikropolitik der kleinen Schritte? Mazlen interessiert sich außerdem für Songwriting. Texte? „Yeah, aber Lyrics sollten schon Bedeutung haben, nicht die stereotypischen Liebeslieder. Mit 16, 17 war ich in einer Punkband, also einem ziemlichem conscious-Background, wo Texte mehr bedeuten als der illusionistische Bullshit.“ & zur Zeit arbeitet sie mit dem schwarzen Sänger/Songwriter Paul Fredericks zusammen (übrigens der Bruder der 70ies Folk-Ikone Linda Lewis), den sie erst remixte & mittlerweile zwei Tracks mit ihm für die neue Platte aufnahm. „Eins ist ein Cover von Nick Drake, ‚River Man’, aber wir haben dem Lied eine völlig andere Richtung gegeben, sehr beatorientiert & schnell. Nick Drake war sehr melancholisch & schrieb darke songs, sehr traurige Lieder. Das ist es, was ich an Folk so mag, auch an ihm: Es ist sehr einfach, aber sehr stark in dem, was es sagt.“ Kurze Pause. „Nick Drake was a very tragic man, wasn’t he? Ich hab nie von ihm vorher gehört, & jemand spielte es uns vor, Paul liebte es & wir sagten: Wir versuchen’s einfach! Für mich war es vor allem die Möglichkeit, mit Musikern zu arbeiten – das hatte ich vorher noch nie gemacht.“ Mazlen intendiert eben verschiedene Herangehensweisen, und der in Elektronikerkreisen mangels Offenheit wenig beachtete approach zu Songs ist für sie nichts neues: „Ich hab mit vielen Bands & Songs gearbeitet – demnächst remixe ich vielleicht auch Cornershop –, aber ich habe auch immer Technologie benutzt. THEY EMBRACE EACH OTHER.“ Sie spielt Chords auf der Gitarre direkt in den Sampler, & ebenso singt sie direkt hinein: „& then I can fuck around with it within that. Ich meine, du brauchst kein großer Musiker zu sein. & das ist das Schöne daran: es ist so eine Freude mit Leuten zu arbeiten, die keine Musiker sind!“ Klare Kiste – alte Punk-Issues well transformed! Ambient? „Sehr schwierig, denn Ambient kann überall sein. Früher Throbbing Gristle & Psychic TV, ziemliche Noise-Terroristen, & ich mag das immer noch. & dann Eno’s Theorie, schreib es herunter & then just keep going. & Ambient ist in den Straßen, ich gehe immer mit meinem Mikrophon aus & sammle – das ist Ambient für mich.“ Das Stück ‚Neotropic‘ erinnerte mich sehr an Tranquillity Bass. „Alright, Freaky Shakra! Er ist tatsächlich ein guter Freund von mir. Sie haben sich jetzt getrennt, aber ihren Stuff habe ich mir nie so genau angehört. Werd ich nachholen.“ Andrea Parker? „Es sieht so aus, als ob wir ähnlich arbeiten, aber sie ist mehr Detroit als ich. Weißt du, der ganze Aphex/Autechre-Vibe, das ist mehr mein Weg … quite Punk, early electronics. Andrea & ich sind ja auf ziemlich ähnlichen Labeln. Sie ist großartig, auf eine Art sind wir miteinander verwandt.“ Shut up & Dance? „Klar, Breakbeat-Pioniere. Aber ihr letztes Zeug hatte nicht die Kante. Es ist hart dranzubleiben denn London ist so schnell. New York ist langsam, da gibt’s immer noch nur einen D&B-Club, Concrete Jungle. Spooky macht ja noch sein Ding, aber das zieht nur eine bestimmte crowd an, zu prätentiös, zu cool. Er ist ein wunderbarer Typ & ich liebe seine Musik, aber manchmal wird es zu intellektuell, zu viel. Ich denke, letztendlich sollte Musik für sich selbst sprechen – obwohl da etwas sein sollte to back it up, a personality. Aber nicht jeder kann einer komplizierten Philosophie folgen, & ich denke, er ist sehr auf dem Trip.“
Die Vermutung, dass Maslen sehr auf Filme steht & überhaupt ein ziemlich visueller Mensch ist, trifft zu. & als sie tatsächlich sagt, ihr all time favorite sei ‚Blade Runner‘, fange ich mich langsam an, zuhause zu fühlen. Interessiert dich der futuristische approach in Blade Runner, Menschen & Androiden, zweite Natur? „Definitiv, ich denke, das ist genau die Richtung, in die es sich früher oder später entwickeln wird.“ Das Erstaunlichste in diesem Film ist ja, dass die Androiden menschlicher erscheinen als die fucking humans selber … „Allerdings. Die Zukunft ist ziemlich angsteinflössend, aber auch sehr aufregend. Was in den letzten 10 Jahren entwickelt worden ist, Computer … Ich stelle mir vor, was in den nächsten 10 Jahren entwickelt wird. Progression … aber ich fühle die sichere Tatsache, dass wir unsere eigene Welt durch unsere eigene Gier zerstören – das ist die sicherste Sache überhaupt. Technology taking over, I won’t be here to see it, which is sad … so, this is my soapbox now.“ Spricht’s & lacht, was auch sonst! & während wir uns von ihren 15 Ebenen der Vergrößerung hinüber in den Ninja-Bus auf Vadim’s Theorie der Vertikalität begeben, verpassen wir superklassisch ihr gesamtes Set: just als wir die Halle wiederbetreten, spielt sie die letzte Platte aus. Dann setzt sie die Nadel ab, steht da & läßt den Blick schweifen.
Riz Maslen, Neotropic, camera eye, sample ear, genuine soul.
(Seven)