Surgeon
BALANCE
Autechre
AUTECHRE
Von Marcus Maida
Ein neues Album von Anthony Child aka DJ Surgeon aus Birmingham ist da! Surgeons früher sehr an Mills geschulter Stil geht bereits seit dem 97er „Basic Tonal Vocabulary“-Album in eine völlig andere Richtung, & zwar in experimentelle Bereiche, die ausserhalb des normativen Techno-Kontext liegen. Touren & auch aktuelle Kollaborationen mit Mick Harris, ein grosses Interesse an Industrial & neuer Musik & auch an visuellen Umsetzungen von Musik zeugen von einem tiefergehenden Interesse an elektronisch-technoider Musik. „Balance“ ist nun bereits schon Autorentechno der etablierten Art, aber wer nun hier einen klangtechnisch-innovativen Überflieger erwartet, liegt falsch. Surgeon weiss, was er dem Floor schuldig ist – das DJen im Club ist ihm nach wie vor mindestens genauso wichtig wie das Weitergehen in der Musik. Allerdings gelingt sein Versuch einer Balance zwischen dem Wirken als DJ & dem Anspruch als Musiker gelingt nur halb. Die experimentellen Stücke sind teilweise sehr gelungen & verdienen Respekt (Dialogue), andere, gerade die funktionalen Floor-Traxx, sind in ihrer Einfallslosigkeit enttäuschend (Box) – da sind längst andere Masstäbe gesetzt. Seltsam, da gerade hier Surgeon stets überzeugte. Neue Anstösse kommen hier nicht unbedingt, obschon Surgeon eindeutig Respekt für seinen kreativen Ansatz gebührt, nicht nur den Floor zu bedienen. Die Platte ist widersprüchlich & nicht einfach, gerade das macht sie so gut.
Dann Autechre: Sean & Rob aus Manchester sind bekannt als worksome Erzeuger elektronischer Musik, die sehr präzise nur das Beste aus ihrem ziemlich grossen Produktionsfundus auswählen und veröffentlichen. Die neue fünfte & unglaublicherweise gleichnamige Platte ist wieder ein Schritt nach vorne. War der Vorgänger „Chiastic Slide“ vorrangig durch extreme digitale Verzerrungen und grobe, fast schon gewalttätige Rythmik gekennzeichnet, ist „Autechre“ hektischer, nervöser, mashed up & natürlich schwieriger, also gerade richtig zur Zeit. Dies trifft noch wirklich den ansonsten 08/15-mässigen Begriff „Klangforschung“ – digitale DX-Synthesen, unstrukturierte Strukturen, Töne, die extremst durch Filter gezogen werden, seltsam unlogische geechote melodische Flächen, die gebremst oder auch zu elektrischen Nadelspitzen & bollernden Schlägen werden. Richard D. James dürfte am anderen Ende der Leitung anerkennend nicken. Hier wird nichts einer wie auch immer vorstellbaren Funktionalität geopfert, diese Stücke scheren sich keinen Deut um ihre eigene Tradition. „Viele derzeitige elektronische Sachen scheinen in eine bestimmte Richtung gehen zu wollen, aber es gibt Sachen aus den 50ern, die sind schon DA“, so Autechre im Gespräch zu mir. Ein unspektakulärer grosser Schritt.
(Testcard)