Carl Craig and Innerzone Orchestra

AND MILES SMILES

Neues vom Altmeister: er wird immer jünger. Während eine neue Produzentengeneration sich an fortschreitenden Techhousemodellen gerne mal die Sägezähne ausbeisst, setzt Detroitlegende Carl Craig mit goldenen Fingern und seinem taktilem Feinsinn für Geschichte und Zukunft ganz woanders an. Das Debütalbum seines „Innerzone Orchestras“, das mit „Bug In The Bassbin“ bereits 1992 einen frühen und allerorten respektierten Blueprint für seltsam mutierten Drum and Bass auf die Teller legte, ist endlich da, heisst „Programmed“ und geht ohne viel Federlesen und prätentiöses Getue in Richtung Jazz. Stilsicher morpht sich das Album zudem über HipHop, Soul, Funk und Fusion-Breakbeats zu einem Körper, der überzeugend rumläuft und schwingt. Von wegen „Mutant Jazz“! Bekannt für ständige Erneuerungen, Redefinitionen und Updates des einmal Erreichten ging Carl Craig immer schon weit über die engen Grenzen von Techno- und Housestilen hinaus. Deren Detroiter Varianten hingegen waren nicht immer, aber sehr oft geprägt von soulful-melodischen und nicht selten jazzigen Vibes. Und: „Jazz Is The Key“ steckten uns 3MB bereits 1993, meine Lieben – habt Ihr das etwa schon wieder vergessen?

Zum Warmwerden spielen Carl und ich erstmal eine Runde Bongos im Frankfurter Plattenladen „Pro Vinyl“. Ansonsten spielt er kein Instrument. Warum sich also nicht ein paar coole wirkliche Musiker für eine futuristische Weiterentwicklung von Techhouse organisieren? „Wir nennen es Anti-Jazz, es ist nicht wirklich Jazz, sondern es tut nur so. Dabei gehen wir weit über die Standardparameter hinaus. Denn was Jazz angeht, befinden wir uns heute in einem seiner dunkelsten Zeitalter. In den USA steht dafür Kenny G und die Folgen, Fahrstuhlmusik ohne Energie und Konzept. Dabei bedeutet wirklicher Jazz totale Freiheit. Wir entwickeln Jazz zurück in die Zukunft, also nicht historisch zurück, sondern sehr weit nach vorne.“ Carl sieht sich in der Rolle eines Arrangeurs, Direktors, Komponisten und Dirigenten, dessen Aufgabe es ist, Sounds, Strukturen und Konzepte zu entwickeln. Er sampelt seine Musiker und entwickelt die Formen der Tracks neu. Deshalb der Titel: es ist, als ob er seine Musiker programmiert und leitet. Ich zähle nicht, wie oft das Wort „Konzept“ in unserem Gespräch vorkommt. Eins steht fest: hier macht sich jemand verdammt viele Gedanken um seine Musik, um sie dann mit der grösstmöglichen Freiheit und Präzision umzusetzen. Dabei soll die Struktur des „Innerzone Orchestra“ so spirituell wie möglich sein. Viele elektronische Sachen versuchten das erst gar nicht, so Carl, sondern wollten nurmehr psychologisch wirken – tags wie „intelligent“ oder „progressive“ waren die Folge. „Meine Wurzeln aber liegen klar in Detroit, und das heisst: Rythm And Spirit. Das „Innerzone“-Konzept nimmt die spirituellen Aspekte der Improvisation auf und redefiniert das Material innerhalb des Studios. Du improvisierst also die Improvisation. Es geht darum, der Musik soviel Spirit wie möglich zu geben und sie so viel wie möglich zu verändern, während du sie gleichzeitig behälst.“ Vorbild für diese Arbeitsweise ist zum einen Sun Ra, dessen Schlagzeuger Francisco Mora mit seinen Erfahrungen von Musique Concrete und Avantgarde Jazz ein wichtiger Mentor und Mitmusiker für Carl geworden ist, und natürlich Miles Davis. Dessen Platte „Panthalassa“, remixed von Bill Laswell – der auf dieser eh schon futuristischen Scheibe einige unglaublich zeitgemässe Elemente zum Vorschein brachte und die matten Juwelen polierte – stellte damals für den Jazz genau das dar, was „Programmed“ heute für Techno bedeuten soll: Aufbruch der Form und neue Akzentuierung. „Miles machte Techno, bevor es so hiess. Oder auch Coltrane, und später Stevie Wonder. Sie alle gingen tiefer in den Groove, es ging nicht nur um die einzelnen Instrumente, sondern um tiefe und groovende Schichtungen von Sounds.“ Ein Video vom Jazzfest Berlin 1971 zeigt, wie Miles seine Band live mixt: Signale geben, Spuren muten, den Rythmus ändern. Aber nicht alleine vorm Bildschirm, sondern inmitten eines Haufens der allerbesten Musiker. Und 1999 spielt das „Innerzone Orchestra“ beim Jazzfest Montreux. „Wir müssen noch viel lernen. Bei Techno ging es immer um eine Idee von Zukunft. Jetzt, wenige Monate vor 2000, weiss niemand mehr, wie die Zukunft aussehen soll. Ich fühle nur eins, während ich mich weiterentwickele und reifer werde: Vergiss deine vorgefassten Meinungen von Allem und mach die Zukunft JETZT!“ Für seinen neuen Weg hat sich Carl den Namen „Blakula“ gegeben: Blaxploitation auf den Spuren von Sun Ra’s Alien-Nation. Doch guckst du um die nächste Ecke, sieht das schon wieder ganz anders aus: als ein nächstes „Innerzone“-Konzept stellt sich Carl Craig eine Platte mit Improv-Aspekten vor, die Vocals wie von „The Smiths“ benutzt. Wir fragen: Ist das noch Techno? Morrissey 2000 oder was? Hang the DJ oder was? Hier ist Carl Craig. Hier ist nichts unmöglich.

(Style & The Family Tunes)

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