The Notwist

KÖNNEN WIR JETZT ENDLICH MAL RAUSGEHEN?

No matter what we say, no matter what we think, we will never, will never leave this room. What are we going to do about this?

Einfach klar bleiben. Inmitten aller Unklarheiten. Wenn alle denken, alles schon zu kennen, holen wir das Altbekannte rein und machens halt nocheinmal neu. Schlagzeile auf der letzten Seite: Ehemalige Crossover-Band entwickelt durch Fusionen mit Indie-Pop, Elektronik, Dub, Reggae und Jazz neuen Crossover. Weilheim, raunt man. Hey, Checker: bitte nichts unsachgemäss abfeiern, lieber zuhören. Die Verbindungen sind bekannt und werden nicht mehr erwähnt. Gruppenprozesse galore. Neue Platte. Danke. Schön.

Worum geht es bei „Neon Golden“? Hat die Platte ein Thema oder eine Klammer für Euch? Markus Acher, der mit seinem Bruder Micha das Quartett vertritt: „Es war ein ganz neuer Prozess, und innerhalb dessen ergaben sich bestimmte Themen, die sich dann auf die Musik und die Texte niederschlugen. Generelle Motive bei „The Notwist“ sind thematisch schwierige Situationen, mit denen man im Leben zu tun hat, und musikalisch das Integrieren von allen Interessen und aller interessanten Musik, die einem im Laufe des Aufnehmens und davor so begegnet.“ Verschiedenartigste Gegensätze zu vereinen ist auch ein Thema, es kommt eigentlich in allen Stücken vor – auch im Gegensatz Text-Musik. Micha: „Thema ist wirklich ganz einfach das Zusammenbringen der verschiedensten Sachen.“ Hört sich einfach an, ist aber nicht so.

Die Phase dieses Zusammenbringens dauerte 15 Monate, aufgenommen in Intervallen: jeweils zwei Wochen im Studio und zwei Wochen zuhause, und der wichtigste Schritt dabei war die Trennung der Kompositionsanteile bei den Stücken. Aufgenommen wieder mit Mario Thaler im Uphon-Studio, nahmen Micha Acher und Martin „Console“ Gretschmann die kompletten Daten mit nach Hause, und dann wurde zuhause im jeweiligen Heim-Studio weitergemacht und ausprobiert, Gesang, Banjo oder Elektronik hinzugefügt, und danach wurde im Studio kollektiv das Neue abgehört, bis sich man sich Stück für Stück an den Klang der neuen Platte herantastete. Die Ideen und Skizzen zu den einzelnene Stücken sind jedoch teilweise ungleich älter, „Consequence“ von Markus, das Älteste, „schon ewig alt“, das Titelstück dagegen wurde erst im letzten Moment mit einem neuen Bluesriff patiniert – ziemlich viel alte und auch ganz neue Sache wechseln sich also in einem erstaunlich homogenen Gesamtsound ab. Das entscheidende beim Aufnahmeprozess war, bestätigen die Brüder, dass dieses Material immer wieder erneuert und angepasst wurde, auf das nicht ein Stück komplett veraltet klingt. Deswegen wurden Songs wie „Consequent“ oder „Off the rails“ immer wieder angefangen, wieder schneller gemacht, und schliesslich ganz anders beendet – bis man endlich zufrieden war. Als Ergebis hört sich das Album sehr geschlossen und organisch an, obwohl sich gerade in „Neon Golden“ soviele Stildiversitäten wie wohl sonst bei keinem Notwist-Album zuvor hören lassen. Auch hierfür ist die kreativ fruchtbare Arbeitsteilung verantwortlich. Markus Acher: „Wir haben früher ja so angefangen, dass ich Stücke an der Gitarre mit Gesang gemacht habe, die wir damals im Proberaum, noch zu dritt, umgesetzt haben, und jeder hat halt seinen Teil dazu beigetragen. Jetzt bei der neuen Platte haben wir dagegen unabhängig voneinander, teilweise parallel an den neuen Stücken gearbeitet. Ein extremes Aufteilen von Arbeits- und Bearbeitungsprozessen, und auch vom Kompositiorischen her. Es gibt ein Stück vom Micha, das er komponiert und darin ganz viel arrangiert hat, wo ich dann nur noch den Gesang gemacht habe. Zum Schluss, vor allem bei einigen Elektroniksachen, konnten wir dann nicht mehr sagen, wo kommt das her.“ Der nur scheinbar getrennte, in Wahrheit aber äusserst kollektive Bandprozess läuft bei „The Notwist“ darauf hinaus, dass man am Schluss an Stücken arbeitet, in denen es egal ist, was jetzt von wem kommt oder ob überhaupt noch was dabei ist, was man früher mal dafür gemacht hat. Die Ursprünge kommen aus den verschiedensten Richtungen und Vorlieben der Band, so Dub, Reggae und Jazz wie bei den Achers, oder auch Elektronik, wie bei Gretschmann. Zum Beispiel das Stück „Pick up the phone“, mit dem das „jetzt“-Magazin der Süddeutschen Zeitung seinen aktuellen TV- und Kinospot untermalt hat: Martin Gretschmann hätte dies zuerst im typischen Console-Stil als „totales Elektro-Brett“ gemacht, dann aber kamen Michas Bläser und Markus‘ Banjo dazu, und so wächst die neue Bandversion nach und nach, und es kommt eine neue Mischung zustande, welche die Stücke unter der Hand wieder verbindet. Insgesamt wurde darauf geachtet, dass man am Ende zehn nahezu songwritermässige Stücke hatte, welche die gesamte Musik strukturieren und zusammenhalten, dass die Arrangements nicht im Vordergrund stehen, sondern dass da eine Stimme mit Melodien und Harmonien ist. „Dass man quasi mehr mit den Arrangements experimentiert, und nicht mit Formen“, so Markus Acher. Denn jeden Song kann man logisch völlig anders instrumentieren und arrangieren. Daher ist „Neon Golden“ unterm Strich ein Songalbum geworden, dessen einprägsamer, aber unaufdringlicher Sound auf eine gänzlich unprätentiöse Art sehr schön gelungen ist. Und vor allem die Elektronik ordnet sich den Songs unter, ist ganz selbstverständlich in ihnen drin und schreit niemals „Hier bin ich, und wie toll ich bin!“ – keine Gimmicks also, sondern songüberlebenswichtige Atmosphäre und Intensität. Jeder Einsatz soll eine Funktion für den Song haben, bestätigen die Achers, und kein zeitgemässer Anstrich sein. Die Band leistet sich quasi eine „Endkontrolle“, in der zum Schluss alle Elemente nochmal auf Wichtigkeit und Relevanz überprüft werden – und ob man sie nicht vielleicht doch weglassen könnte. Der Grundgedanke zu „Neon Golden“ war, trotz der opulent wirkenden Grösse der Songs, eher minimalistisch. „Beim Reggae können einige Sachen halt auch zehn Minuten laufen und sind trotzdem superspannend und kein Firlefanz“, so Markus Acher. Der vierte Notwist, Schlagzeuger Martin „Mäckie“ Messerschmidt, ist bei aller Datenbearbeitung ebenfalls ein sehr wichtiger Part, sei es, dass sein natürliches Schlagzeug, dass zB. Stücke wie „This Room“ von der Dynamik her komplett prägt, elektronisch bearbeitet wurde, wie auch als Ideengeber. Desweiteren prägten die Gastmusiker den Verlauf der Stücke extrem, wie der in München lebende Weltklasseperkussionist Saam, dessen Zarb-, Kachon- oder Tamburinspiel bisweilen für die Weilheimer natürlich-elektronischer als Elektronisches klang, und sie völlig begeisterte. Auch Passport-Keyboarder Roberto di Goia erwies sich als sehr offener Profimusiker, der bei einem Song mit 4 Akkorden nicht die Nase rümpfte und aus dem Studio ging. Die Bläser hingegen kommen aus den versierten Mündern von Johannes Enders und Ulrich Wangenheim, und die Streicherarrangements, die vor allem Micha fachkundig setzte, spielte Sebastian Hess mit dem Cello ein. Klingt oft so dynamisch-spartanisch, klar und rein wie bei „Eleanor Rigby“, bemerke ich. Micha strahlt wie ein Honigkuchenpferd: „Und genau das haben wir zeitweilig ununterbrochen gehört. Man wird sehr vielschichtig und subtil beim Produzieren, aber wir versuchen, die Arrangements so schlicht und unkitschig und unamtlich-poppig wie möglich zu machen.“ Also nicht Missy Elliott, sondern die Beatles. Dazu passt dann ja, dass das Endmastering in den Abbey Road-Studios gemacht wurde – auf dieser einfachen alten Mastermaschine, durch die schon diverse Klassiker hindurchliefen. Die Vermittlung kam durch die befreundete Gitarrenband „Slut“ zustande, und an einem Tag war das fertig. „Gentleman, are you happy?“, so die Standard-Abschlussfrage des altgedienten Masterminds Chris Blair beim erneuten Abhören der Bänder.

Und wieder nur Honigkuchengesichter.

Die Sachen songmässig auf den Punkt zu bringen – war das vorher schon klar? Micha Acher: „Nach Tied & Tickled Trio wollten wir eigentlich mit Notwist eine richtig krachige Platte machen, doch dann hat jeder von uns nur so Stücke komponieren können.“ Deswegen wirkt die Platte teilweise derart intim: kleine Form halt. „Jeder ist mit diesen Dingern angekommen: A-B-A-C, auch die Sachen von Martin: ganz klare Stücke.“ Man wollte sich ursprünglich von dem ganzen derzeit grassierendem Pop-Wahn distanzieren, so Markus Acher, dann aber kamen während des Aufnehmens diese Stücke zu Stande. Zum Glück, denn so kann man das unseelig-omnipräsente Three-Letter-Word und seine medialen Auswüchse einfach umgehen und umdenken und einfach machen – die Welt wäre ohne diesen Impuls um eines ihrer besten Songplatten ärmer. Und schliesslich kamen den Notwists Platten mit minimaler Instrumentierung und Aufnahme und maximaler Intensität unter: Johnny Cash, nennt Markus, und Bonnie Prince Billy, Bill Callahan, ergänze ich, denn „Neon Golden“ erinnert durchaus an ihn, und auch hier erfahre ich Zustimmung. „Solche Sachen schalten jegliches Nachdenken über Musik einfach total aus, weil sie einfach so einen Platz in der Realität von jedem von uns haben“, so Markus, „man versteht das total, das spricht einen völlig an.“ Klar gibt es in letzter Zeit immer mehr Bands, die nichts zu sagen haben, so die Achers: dieses Pop-Ding ist der allgemeine Konsens, und alle wollen Hits schreiben und dieses perfekte Popalbum machen und auch noch cool dabei aussehen, aber was einem im Grunde immer etwas sagt, egal in welcher musikalischen Richtung, das sind Leute, die ganz klar und direkt Sachen ansprechen und vermitteln, die einem wichtig sind, Sachen, die man wiedererkennt. „Popmusik nein, aber Musik, die einen etwas angeht – unbedingt!“, schliesst Markus diesen Komplex, auf den wir gekommen sind, ohne ihn explizit anzusprechen. Ich bemerke nur, dass die meisten Leute, die unbedingt sogenannte Superhits schreiben wollen, sich nicht auf sich selbst konzentrieren können. Beeindruckend lange Stille auf dem Band, bis ich Markus sagen höre: „Ja. Das trifft ziemlich gut zu.“ Micha erzählt, dass im Proberaum jemand die „Musikwoche“ mit den Chartslisten (also den Börsenkursen, wie ich einwerfe) mitgebracht hatte. „Die 15 Monate haben wir das immer am Rand mitbekommen, bis uns einfach zum Kotzen war – wir haben damit nichts zu tun und wollen und werden damit auch nichts zu tun haben.“ Alle denken, sie wissen immer alles im Bereich von Pop“, ergänzt Markus. Vieles verändert sich für ihn durch den immer kleiner werdenden Bereich von Subkultur und Indiekultur, was schon dahin führe, dass immer mehr Leute Musik so wie Handwerk oder Beruf sehen, „wie ein Friseur oder Rechtsanwalt eben – es geht dann einfach darum, bestimmte Sachen zu erfüllen, das passiert dann auch, ganz strebermässig, und alle finden das super, aber die Leute geben nichts von sich preis, und können sich auch so wenig begeistern.“ Amtlich – das Hasswort wird in unserem Gespräch nebenbei auf dem Tisch zerdrückt und genervt vom selben gewischt. „Dann lieber die Hose runterlassen und versuchen, dahinzukommen, wo man dann auch wirklich was zu sagen hat, wo man sagt: das ist unser Ding, und das macht so keiner. Nur so verliert man irgendwann die Angst zu scheitern, Fehler zu machen, oder in die falsche Richtung loszugaloppieren.“

Also was soll dieser Unsinn hier in diesem Raum? Diese dämlichen Gesichter, diese Zeitschriften und diese Wichtigtuer darin? Können wir jetzt endlich mal rausgehen?

Gentlemen, are you happy?

(Jazzthetik)

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