Plaid

DIE LEIDENSCHAFT SCHLÄFT IM DETAIL

Ganz unauffällig schiebt sich ein neues Werk von „Plaid“ in die Materie der elektronischen Musik, ganz unaufdringlich und unaufgeregt, genauso, wie sich Ed Handley und Andy Turner mir gegenüber heute präsentieren. Ihre Kleidung: plain, schlicht, ihr Auftreten: zurückhaltend, freundlich, aber auf sympathische Weise verschlossen. Jetzt aber muss sich die Muschel ein wenig öffnen, um Luft zu holen. Die beiden sind nicht als grosse Interviewfreunde verschrieen, erweisen sich aber, wie Ed bereits in einem früheren Interview, als aufmerksame und gutwillige Gesprächspartner, wenn man bereit ist, auf ihrer Wellenlänge mitzuschwimmen. Nach dem 1997er Split des legendären „Black Dog“-Projektes, dem originären „Warp“-Records-Veteranenmodell des „electronic listening“, das ihr ehemaliger Mitstreiter Ken Downie nun unter ebendiesem Namen weiterführt, gründeten sie im selben Jahr „Plaid“ – das Wort bezeichnet einen Ausdruck für schottisches Tuch – als neugewonnene Plattform, um sich vom Weg des schwarzen Hundes abzugrenzen. „Ken kontrollierte die Dinge sehr, und er hatte sehr klare Ideen von dem, was er tun wollte“, so Ed. Und leise fügt er hinzu: „Und das ist das Gute wie auch das Schlechte an ihm.“ Ed und Andy hingegen brauchen keinen verbissenen Masterplan. Sie arbeiten äusserst präzise, aber vor allem auch intuitiv an ihrem Material. Das erste Album „Not for threes“ überzeugte durch die typische Ruhe und Gelassenheit der elektronischen Texturen. Es gibt keine schrillen Töne, nichts auffällig Verstörendes, stattdessen jedoch einen durchaus klassisch geerdeten Fluss bewegter elektroider Klangstrukturen, der seine Herkunft neben der Rythmik auch einer ganz eigenen Behandlung der Klangmelodik verdankt: das Simple wirkt komplex, und das Opulente gibt sich unaufdringlich. Bemerkenswert war zudem noch das Mitwirken von den „Plaid“-Fans Björk und Nicolette bei zwei Tracks, im Gegenzug produzierten sie den Nicolette-Track „Let No-one Live Rent Free In Your Head“ und begleiteten Björk’s Live-Band ein unglaubliches ganzes Jahr durch die Weltgeschichte. Danach war Klausur angesagt. Die erste „Plaid“-Platte brauchte 3 Jahre, die zweite gerade mal eines, insklusive 6 Monaten harter Arbeit. Und was geschah?

Das neue Album „Rest Proof Clockwork“ verfeinert die plaid’sche Methode und macht sie kompakt. Früher sagte Ken Downie, „Black Dog“ seien im Grunde Hacker, wie viele in der elektronischen Musik: es gehe nicht viel um Training, sondern um eine gewisse Wildheit und Unbefangenheit gegenüber dem Material und den Maschinen. Wobei die Bezeichnung „Maschinen“ mittlerweile jeglichen mythischen Innovationsfaktor innerhalb elektronischer Musik eingebüsst hat und sich der Umgang damit als etwas ganz Normales erwiesen hat. Die Phase der Ernüchterung dauert bereits seit einiger Zeit an. Das Wort „Hacker“ klingt zudem wild und mythisch, aber auch damit ist es vorbei. „Hacker gehen ins Internet, stehlen und kombinieren. Nein, das sind wir nicht.“ Was dann? Ohne zu zögern sagen Ed und Andy: „Composers.“ Oho, nicht etwa Programmierer? „Ja, das wäre vielleicht noch spezifischer, weil es vor allem die technische Seite abdeckt. Ich meine, ‚Composer‘ ist das prätentiöseste, was ich mir denken kann, aber letztlich ist es doch das, was wir tun: wir komponieren.“ Beide haben keinerlei musikalische Ausbildung hinter sich und brachten sich das Musikhandwerk autodidaktisch bei. Es gibt auch keinen Bezug oder Austausch zu der „klassisch komponierten elektronischen Musik.“ Allerdings, so Andy, gibt es schon klare Einflüsse von dieser Seite, genauso wie von der clubbetonteren Seite der elektronischen Musik. Ed sieht die musikalische Tradition von „Plaid“ in einer Reihe mit „irgendwelcher easy listenig electronica“, zum einzigen Mal widerspricht ihm Andy hier: „Ich würde das Gegenteil sagen: wir sind befreite Ingenieure der 90er und cracken akustische Traditionen.“ Huch, das klingt ja doch auf einmal etwas wild. Aber Ed beruhigt mich: „Uns trennen Welten von den elektroakustischen Komponisten. Da existieren jedoch fast schon Klassenunterschiede, und die Komponisten halten dies aufrecht, denn sie halten sich fern von den Clubs. Aber ich sehe Zeichen, dass das langsam zusammenbricht. Wir spielen auf jedenfall eher für ein Club-Publikum, das zuhören kann, aber nicht muss.“ Auf ihrer England-Tour werden sie „Orbital“ supporten, das kam auf die letzte Minute und dürfte erneut einen kleinen Popularitätsschub bei „Plaid“ bewirken. Und diese kleinen Schübe sind wichtig für die beiden. Pushs und Hypes sind ihnen zuwider, und ist bei ihren Persönlichkeiten und ihrer Musik auch nicht denkbar. Es war und ist ihnen seit jeher wichtig, dass ihre Persönlichkeiten nicht vor der Musik stehen. Vielleicht wären diese auch zu blass dafür, aber was soll’s: die Musik von „Plaid“ war zu keiner Zeit ein Ego-Vehikel, und Ed bestätigt dies nachdrücklich: „Wir versuchen nicht, unsere Persönlichkeiten mit unserer Musik auszudrücken.“

Ed und Andy wirken extrem in ihrer Leidenschaftlosigkeit. Diese Zurückhaltung im Bezug auf Äusserungen zu ihrer Musik sollte jedoch nicht als Indifferenz verstanden werden. Sie haben in Bezug auf „Black Dog“ erfahren, dass ihre Musik überinterpretiert und mit Symbolismus überfrachtet wurde. Jetzt ist die Zeit der Ruhe und Präzision eingekehrt. Die Leidenschaft schläft im Detail. Wie oft wurden an die sonischen Texturen wortloser elektronischer Musik unangemessene oder überhöhte Anforderungen gestellt. Direkte Interpretationen dieser Musik zielen völlig am Medium vorbei. Wer etwas über „Plaid“-Musik erfahren will, muss beobachten und erleben, wie sie wirkt und funktioniert. „Vielleicht kann sie deine Stimmung wechseln, deine Wahrnehmung ändern. Wenn sie dir zu nahe kommt, wird es schnell störend, also hör besser nicht so genau zu“, sagt Ed. „Es gibt eine Distanz in unserer Musik“, ergänzt Andy zögernd, „Du musst dich ein wenig fern von ihr halten.“ „Plaid“-Musik hat eine Art Tarnung, wenn Du beschäftigt bist, merkst Du ihre Tiefe nicht. Aber unter dem Kopfhörer zb. öffnen sich neue Ebenen der Wahrnehmung und es ist möglich, die verborgene Komplexität zu erkennen. Hier nach Sinn und Gehalt zu fragen, führt völlig am Soundkomplex vorbei, es nur als background-sound zu betrachten ebenfalls. Trotzdem existiert kein wirklich höheres Level in der Musik von „Plaid“ – die Gefühle sind ihr das wichtigste, wie beide betonen, fernab jeder Intellektualisierung. Früher hielten sich Interpretationen gerne an einer vagen Vorliebe der beiden für Numerologie und griechische Mythen – Wissenschaft und Mythos als Eckpunkte des plaid’schen Kosmos – fest, die sich mitunter in den Tracktiteln ausdrückte. „Wir bewegen uns langsam fort von diesen Titeln. Es wäre prätentiös zu sagen, dass wir diese Systeme verstanden hätten. Wenn wir etwas daraus benutzen, dann unbewusst. Es ist ehrlicher zu sagen, dass wir kein Interesse an etwas haben, als damit herumzujonglieren. Die Leute interpretieren schnell etwas hinein.“ Die Spuren des schwarzen Hundes werden langsam verwischt. So nähern sich die Titelbezeichnungen den abstrakten-humorigen Wortneuschöpfungen, die sich u.a. bei Richard D. James, Autechre oder auch Mouse On Mars finden lassen. Ein „Ohne Titel“ wäre da genauso ehrlich. Die Interessen der beiden liegen darüberhinaus im wissenschaftlichen Bereich – „Physik“, flüstert Ed, und „Watch ‚tomorrow’s world‘ on TV“, lästert Andy – und der Faszination, dass bestimmte Dinge für 50 Jahre als Fakten geglaubt und dann durch neue Erkenntnisse relativiert oder ersetzt werden. „Du kannst nichts als gesichert annehmen“, so Andy. „Dem ’state of confusion‘ stehen immer neue wiedersprüchliche Erzählungen gegenüber, die Frage nach der Wahrheit kann so leicht zur Paranoia führen“. Deshalb beziehen „Plaid“ nicht Stellung, sind aber Spiegel der jeweiligen Situation, die schon morgen eine andere sein kann: „Alles hängt davon ab, wo Du gerade stehst“, bringt Andy es auf den Punkt. Bei allem Interesse für Spiritualität und Wissenschaft stehen „Plaid“ jedoch fest auf dem Boden. Sogar wenn sie DJ-Anfragen bekommen: „Ab und zu fragt man uns, aber wir kaufen nicht wirklich Platten…also ist es ein ziemliches Desaster“, sagt Ed, „wir spielen dann early 90ies-Zeug“, „Ja, ‚Golden Oldies“ ergänzt Ed, und beide lachen mit mir, weil klar ist, wie sehr sich etwas gelöst hat.

(Jazzthetik)

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